Beschreibung

vor 12 Jahren
Diese Dissertation geht von einem Zusammenhang zwischen der
Grundfrequenz und der Perzeption von Vokalen, speziell der Höhe von
Vokalen, aus - wie viele Vorgängerstudien auch - und diskutiert
Konsequenzen, die sich aus diesem Umstand ergeben; außerdem führt
sie neue Evidenzen an, dass unter bestimmten Bedingungen die
Grundfrequenz auch zur Produktion von Vokalhöhendistinktionen aktiv
variiert werden kann. In einer longitudinalen Studie wurden
Aufnahmen aus mehreren Jahrzehnten, die von den selben britischen
Sprechern stammten und auf Gleichwertigkeit der
Kommunikationssituation kontrolliert worden waren, daraufhin
untersucht, wie sich Alterungsprozesse in erwachsenen Sprechern auf
die mittlere Grundfrequenz und die Formanten F1, F2 und F3 im
Neutrallaut Schwa, bzw. auf die als äquivalent hierzu
festgestellten gemittelten Formantwerte in allen stimmhaften
Signalanteilen auswirken. Die Grundfrequenzen von Frauen werden als
mit dem Alter fallend beschrieben, während Männer eine zunächst
absinkende, später ansteigende Grundfrequenz aufweisen. Der zweite
Formant ändert sich nur marginal, und auch F3 weist keine über alle
Sprecher konsistenten, signifikanten Änderungen auf. Im Gegensatz
hierzu ändert sich F1 mit zunehmendem Alter deutlich, und zwar bei
den meisten Sprechern in die selbe Richtung wie die Grundfrequenz.
In Daten eines Sprechers und einer Sprecherin, die in kurzen
Abständen regelmäßig über ein halbes Jahrhundert hinweg aufgenommen
worden waren, wird eine deutliche Kovariation des ersten Formanten
mit der Grundfrequenz deutlich, wobei der Abstand zwischen F1 und
Grundfrequenz auf einer logarithmischen Skala auch über Jahrzehnte
hinweg relativ invariant bleibt. Die Hypothese hierzu ist, dass
altersbedingte Formantänderungen weniger auf physiologisch bedingte
Änderungen in den Abmessungen des Ansatzrohrs zurückzuführen seien,
sondern auf eine kompensatorische Anpassung des ersten Formanten
als Reaktion auf eine Perturbation des Vokalhöhenperzepts, welche
hervorgerufen wird durch die (physiologisch bedingten)
Grundfrequenzänderungen. Diese Hypothese schließt mit ein, dass das
Vokalhöhenperzept der Sprecher/Hörer durch den in Relation zu f0 zu
beurteilenden ersten Formanten bestimmt ist. Um diese letzte
Schlussfolgerung weiter zu testen, wurden deutsche Sprecher in zwei
Experimenten in Quasi-Echtzeit einem akustisch verändertem
auditorischen Feedback ausgesetzt, und ihre akustischen Daten
untersucht. Beide Perturbationen hatten das Ziel, das
Vokalhöhenperzept (direkt oder indirekt) zu beeinflussen: Für eine
Perturbation des ersten Formanten kompensierten die Sprecher mit
einer F1-Produktion in Gegenrichtung zur Perturbation.
Gleichzeitige Änderungen der produzierten Grundfrequenz sind
teilweise als automatisch eintretende Kopplungseffekte zu deuten;
unter bestimmten Bedingungen scheinen manche Sprecher jedoch f0
unabhängig von F1 aktiv zu variieren, um die intendierte Vokalhöhe
zu erreichen. Bei einer Perturbation der Grundfrequenz variieren
einige Sprecher den ersten Formanten dergestalt, dass zu vermuten
ist, dass der aufgrund nur partiell durchgeführter f0-Kompensation
weiterhin gegenüber den unperturbierten Werten veränderte
F1-f0-Abstand das Vokalhöhenperzept beeinflusste, was zu einer
kompensatorischen Gegenbewegung in Form einer Vokalhöhenvariierung
führte. Ein Perzeptionsexperiment mit ausschließlich durch
Grundfrequenzvariierung beeinflussten Kontinua zwischen vorderen
halb-geschlossenen und geschlossenen Vokalen in Wörtern gleichen
Kontexts, welche in Trägersätze eingebettet präsentiert wurden,
ergab, dass die Grundfrequenzvariation nur etwa bei der Hälfte der
deutschen Hörer das Vokalperzept beeinflusste. Das
vokalintrinsische Merkmal wird aber trotz des störenden Einflusses
extrinsischer Faktoren genutzt, und auch trotz der intonatorischen
Funktion der Grundfrequenz. Die durch Ergebnisse von Untersuchungen
zur Intrinsischen Grundfrequenz im Deutschen motivierte Hypothese,
dass deutsche Hörer den F1-f0-Abstand als Vokalhöhenmerkmal in
stärkerem Ausmaß in einem Kontinuum zwischen ungespannten Vokalen
nutzen, als in einem Kontinuum zwischen gespannten Vokalen, konnte
nicht bestätigt werden. Generell liefern alle drei experimentellen
Teile dieser Dissertation weitere Evidenz dafür, dass - zumindest
in den vergleichsweise vokalhöhenreichen Sprachen Englisch und
Deutsch - viele, aber eben nicht alle Sprecher/Hörer zur
Vokalhöhenperzeption und -produktion neben F1 auch die
Grundfrequenz nutzen.

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