Beschreibung

vor 14 Jahren
Die vorliegende Arbeit will ein differenziertes und konsistentes
Strukturmodell des deutschen Schriftsystems entwickeln. Noch immer
fußt die Schriftlinguistik auf unsoliden theoretischen Grundlagen:
So sind für das Graphem zwei verschiedene, einander widersprechende
Definitionen in Gebrauch, die oft sogar miteinander vermischt
werden. Zudem erschöpft sich die Graphematik, reduziert auf die
Rolle einer Hilfswissenschaft der Orthographie, traditionell in der
Betrachtung von Graphem-Phonem-Korrespondenzen und ignoriert in der
Folge alle schriftlichen Erscheinungen, die nicht mit diesem
Instrumentarium zu erfassen sind – etwa Zeichen wie oder
oder , die unerlässlicher und
selbstverständlicher Teil des täglichen Schriftgebrauchs sind. Und
die vielfältigen Formen von Allographie werden allenfalls als
Randerscheinung erwähnt, anstatt sie als Phänomen zu begreifen, das
nach Systematisierung verlangt. Eine so betriebene Graphematik wird
ihrer Aufgabe, das Schriftsystem des Deutschen vollständig zu
erfassen, nicht gerecht. Ursache und zugleich Ausdruck dieses
Missstandes ist das unzulängliche, gleichwohl etablierte Modell,
das nur zwei Arten hierarchisierter Einheiten kennt: Grapheme und
Graphen. Zur Revision und Fortentwicklung dieses Modells formuliert
die vorliegende Arbeit einen Graphembegriff, der zwischen kleinsten
schriftlichen Einheiten und phonemabbildenden Einheiten
unterscheidet und auch Nichtbuchstaben ins System inkorporiert.
Zehn verschiedene Erscheinungsformen von Allographie werden
klassifiziert und insbesondere jene aufschlussreichen Fälle
betrachtet, in denen die Wahl einer Verschriftungsvariante nicht
orthographisch festgelegt, sondern von Einflüssen anderer
linguistischer Ebenen gelenkt ist – etwa vom grammatischen Umfeld,
lexikalischen Bezügen oder medialen Bedingungen. Besonderes Gewicht
wird auf die Graphetik gelegt: Die äußere Form von Schriftzeichen
wird in der Linguistik oft völlig ausgeblendet – dabei ist es ja
gerade die Physis, die Schrift ausmacht. Diese Arbeit versucht
indes, auch typographische Aspekte in die Linguistik einzubringen,
denn in einigen Belangen erweist sich auch die Gestalt von
Schriftzeichen als systematisch relevant. Als Ergebnis all dieser
Erörterungen wird das etablierte Strukturmodell auf vier
hierarchisierte Beschreibungsebenen erweitert, deren Einheiten
tentativ als Phonemabbilder, Grapheme, Grundformen und Graphen
bezeichnet werden.

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