Synchrone und diachrone Laut- und Formenlehre der Mundart von Laurein (Südtirol)

Synchrone und diachrone Laut- und Formenlehre der Mundart von Laurein (Südtirol)

Beschreibung

vor 16 Jahren
Laurein ist eines der vier Dörfer in der sogenannten Deutschgegend
am Nonsberg im Südwesten der heutigen Autonomen Provinz Bozen
(Südtirol). Die Mundart ist südbairisch mit tirolischem Einschlag
und die Muttersprache des Verfassers. Daher wurden, um die Mundart
synchron zu untersuchen, keine klassische Erhebung mit Fragekatalog
oder gezielt Audioaufnahmen gemacht. Als Referenz diente im ersten
Anlauf stets die eigene muttersprachliche Kenntnis. Wenn diese
nicht ausreichte, was recht oft der Fall war, wurden kompetentere
Sprecher zu Rate gezogen. Über Textkorpora verfügt die Mundart von
Laurein so gut wie keine. Auf diachroner Ebene ist insbesondere in
der Lautlehre der Bezugspunkt in der Regel das Mittelhochdeutsche
bairischer Prägung, und bei jüngeren Lehnwörtern aus dem
Romanischen das Westromanische bzw. die welsche (halbladinische)
Nachbarmundart des Nonsbergs als dessen unmittelbarer Nachfolger.
In manchen Fällen muss, wenn es gilt, die Geschichte eines Lautes
in einem ganz bestimmten Einzelwort zu beleuchten, über das
Mittelhochdeutsche hinaus ins Altgermanische und über das
Westromanische hinaus ins Lateinische, mitunter auch ins
Indogermanische zurückgegriffen werden. Dabei begibt man sich
zwangsläufig in den Bereich der Etymologie, die mitunter
problematisch ist. Letzteres gilt auch für den Namen Laurein, der
in der Mundart Lafreng lautet. Der Vokalismus der Mundart von
Laurein kennt Kürzen und Längen, Oralität und Nasalität und
fallende Diphthonge. Nasalvokale oder -diphthonge sind nicht
zwangsläufig kombinatorische Varianten der entsprechenden
Oralvokale oder -diphthonge, zumal erstere auch in nicht-nasaler
Umgebung vorkommen können. Zu den Diphthongen gehören auch so
genannte „einmorige Diphthonge“, die positionsbedingt sind. Auch
bestimmte zweimorige Diphthonge können über kombinatorische
Varianten verfügen. Die Vokale bzw. Diphthonge haben, je nachdem in
welchem Wort sie erscheinen, unterschiedliche Entsprechungen in der
Bezugsprache (sei sie historisch, sei sie synchron wie die nhd.
Standardsprache oder das jüngere Romanische bzw. Italienische). Wie
in der nhd. Standardsprache konnten Vokale in offener Tonsilbe in
Zweisilbern und analog dazu auch in Ein- und Dreisilbern gedehnt
werden. Es gibt aber auch Fälle, in denen in Dreisilbern keine
analoge Dehnung stattgefunden hat. Daneben gibt es rezentere
Dehnungserscheinungen, wie z. B. vor ehemaligem rr oder vor r +
stimmhaftem Alveolar. Besonders hervorzuheben in der diachronen
Betrachtung der Vokale sind zwei Aspekte: Die Datierung und
Qualität des Primär- und Sekundärumlauts; die Behandlung der
romanischen Qualitäten (von e und o) und der Quantitäten. Die
wichtigsten Merkmale des Konsonantismus der Mundart von Laurein
sind: Der w-Laut wird als [b] gesprochen. Unterschiede im Stimmton
gibt es nur bei den Okklusiven. Die Mundart kennt bei den
Okklusiven keine Auslautverhärtung (außer bei d nach r), keine
Geminierung, keinen Unterschied zwischen einem ich- und ach-Laut.
Das System der Okklusive und Affrikaten ist auch in der alveolaren
Reihe dreigliedrig. Die Mundart von Laurein ist die einzige am
gesamten Nonsberg, in der der r-Laut uvular gesprochen wird, und
dieser ist in jeder Position hörbar. Auch erwähnenswert ist, dass
[k], also der nicht affrizierte Velar, relativ häufig vorkommt –
nicht zuletzt dank zahlreicher Lehnwörter aus dem Romanischen.
Andererseits haben wir in der Mundart [g] für rom. [k]; und aus
diesem Grund wurde vorsichtig die Überlegung angestellt, ob dieses
[g] mit jenem ahd. *[k] zusammenfiel, das interimsmäßig aus *[g]
verhärtet war. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage
gestellt, ob es bei [k] eine zweite Welle der Zweiten
Lautverschiebung geben konnte. In Einzelfällen kann ein stimmloser
Okklusiv [p] für germ. *b auch im In- und Auslaut erscheinen, was
wahrscheinlich für Kontinuität seit ahd. Zeit spricht. Bei der
Deklination sind folgende Aspekte zu nennen: Das Substantiv kennt
keine Kasusflexion mehr; diese gilt nur mehr bei den Adjektiven und
Indefinitpronomina. Bei einzelnen Substantiven zeigt die
Pluralbildung eine noch schwächere Kontinuität des mhd. Musters als
die nhd. Standardsprache. Bei den Maskulina und Neutra ist das
Pluralmorphem -er am stärksten verallgemeinert worden und hat
ferner vielfach analogen Umlaut bewirkt. Bei den Feminina zeigt wie
in der nhd. Standardsprache das Pluralmorphem -en die stärkste
Verallgemeinerung. Je nach ihrem Verhalten bei der Pluralbildung
auf synchroner Ebene können die Substantive unterschiedlichen Typen
zugeordnet werden. Bei der starken Adjektivdeklination kennt die
Mundart von Laurein im Gegensatz zur nhd. Standardsprache nur einen
Typ (Typ 1), während die starke Deklination der Standardsprache
zwei Typen unterscheidet, von denen sich der so genannte Mischtyp
(Typ 3) erst in nhd. Zeit herausgebildet hat, und zwar aus Typ 1
und Typ 2. Letzterer gilt bei der schwachen Deklination und kommt
in der Mundart von Laurein seltener zur Anwendung als in der nhd.
Standardsprache. Die Steigerung der Adjektive (und Adverbien) zeigt
zudem häufig analogen Umlaut. Bei den Personalpronomen sind je nach
syntaktischem Umfeld drei Typen zu unterscheiden. Beim
Reflexivpronomen wird wie im Mhd. zwischen indirekter und direkter
Reflexivität unterschieden. Das Pronomen der 2. Person Plural
lautet in „unbairischer“ Weise im Nominativ „ihr“, dagegen im Dativ
und Akkusativ durchaus „enk“. Die wichtigste Besonderheit des
Possessivpronomens ist, dass „sein“ sich auch auf das Femininum
Singular und den Plural beziehen kann. Der bestimmte Artikel zeigt
dagegen weitgehend dieselben Abweichungen vom Mhd. wie in der nhd.
Standardsprache. Das nahdeiktische Demonstrativpronomen reflektiert
meist nur mittelbar den bestimmten Artikel des Mittelhochdeutschen
in betonter Stellung. Das ferndeiktische Demonstrativpronomen wird
auf der Grundlage von mhd. sëlp, -bes gebildet. Beim neutralen
Interrogativpronomen wird nach Präpositionen ein Dativ gebraucht,
der formal historischer Instrumental ist. Der unbestimmte Artikel
kommt in gemeinbairischer Weise nur schwachtonig vor und lautet im
Nominativ für alle drei Genera gleich. In Bezug auf die Zahlwörter
ist u. a. zu erwähnen, dass es je nachdem, ob die Uhrzeit oder ein
allgemeiner Zahlwert gemeint ist, zwei Formen für ‘drei’ gibt. In
der Konjugation finden wir besonders viele Auffälligkeiten: Wie
allgemein im Bairischen fehlt das Präteritum; eine Ausnahme
speziell in der Mundart von Laurein bilden das Verb für ‘sein’ und
für ‘haben’. Im Unterschied zur nhd. Standardsprache gilt die so
genannte „e-Erweiterung“ auch bei Verbalstämmen auf [k] und [p].
Die Verben mit „e-Erweiterung“ sind gleichzeitig auch jene Verben,
die, auch wenn sie schwach konjugiert werden, das Partizip
Präteritum auf /ən/ bilden – es sei denn, es handelt sich um
Proparoxytona. Eine Reihe von starken Verben setzt die mhd.
Tradition fort, das Partizip Präteritum ohne das Präfix ge- zu
gebrauchen. Auf synchroner Ebene können die Verben in regelmäßige
und unregelmäßige Verben und innerhalb dieser in unterschiedliche
Typen unterteilt werden. Von der 3. Ablautstufe des
Mittelhochdeutschen gibt es in der Mundart von Laurein nur mehr
einen Reflex, und zwar im Konjunktiv II des Verbs für ‘werden’, der
[bu:ʀət] lautet. Das Morphem [ət] wurde von den starken Verben auf
die schwachen Verben (bis auf wenige Ausnahmen, die
positionsbedingt sind) übertragen. Verben mit so genanntem
„Rückumlaut“ sind der Mundart von Laurein fremd. Dieser ist immer
zugunsten des Stammvokals des Infinitivs beseitigt worden. Der
grammatische Wechsel ist in weniger Fällen ausgeglichen worden als
in der nhd. Standardsprache. Recht archaisch ist der Stammvokal
(eigentlich Stammdiphthong) im Singular Präsens der ehemaligen
Klassen IIa, IIb, zumal dieser nicht zugunsten des Vokalismus des
Infinitivs und der Pluralformen ausgeglichen wurde. Kein Ausgleich
hat ferner in der 1. Person Singular Präsens der ehemaligen Klassen
IIIb, IV und V stattgefunden, sehr wohl dagegen in der 2. und 3.
Person Singular Präsens der ehemaligen Klasse VI. Besonders
erwähnenswert ist, dass der Umlaut üe zur 3. Ablautstufe des
Konjunktivs II der ehemaligen Klasse VI auf einige „schwache“
Verben übertragen werden konnte. Freilich gibt es auch in der
Mundart von Laurein einige Verben, die als Mischtypen zu bezeichnen
sind, weil sie je nach Tempus oder finiter Form „schwach“ oder
„stark“ flektieren. Als Sondertypen werden schließlich jene Verben
bezeichnet, die aus synchroner Sicht ein äußerst unsystematisch und
unlogisch erscheinendes Bild zeigen. Hierher gehören die
Hilfsverben, die Verben für ‘gehen’ und ‘stehen’ und die
Modalverben. Insbesondere bei den Modalverben kam es in hohem
Ausmaß zu regelrecht kettenreaktionsartigen Analogien.

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