Grenzen sind zufällig, aber unantastbar

Grenzen sind zufällig, aber unantastbar

Kants Weltbürgerrecht, sein Blick auf Migration und seine Bedeutung bis heute
28 Minuten
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Beschreibung

vor 1 Woche
Kants Weltbürgerrecht, sein Blick auf Migration und seine Bedeutung
bis heute

Jeder Mensch hat das Recht, ein fremdes Land zu besuchen und sich
dort aufzuhalten: So lässt sich ein Kernelement des
Weltbürgerrechts als „Besuchsrecht“ nach Immanuel Kant
zusammenfassen. Prof. Dr. Christoph Horn vom Digitalen
Kant-Zentrum Bonn erklärt den Begriff der Migration bei Kant,
warum für ihn Grenzziehungen willkürlich waren und welche
Schlüsse wir daraus ziehen können.


Wer an Kant und Migration denkt, dem fällt der Begriff
des Weltbürgertums ein. Was genau ist damit gemeint?


Das Weltbürgerrecht ist ein zentraler Begriff bei Immanuel Kant.
Dahinter steht die Idee, die Rechtsbeziehungen zwischen
Individuen und Drittstaaten zu regeln. Er sah, dass das
Völkerrecht seiner Zeit hier ein Defizit aufwies, nämlich die
rechtliche Regelung von Individuen außerhalb ihres Staates. Das
Weltbürgerrecht besagt, dass alle Menschen das Recht haben
sollen, sich in ein fremdes Land zu begeben und sich dort
unbehelligt aufzuhalten und zu betätigen.


Ist das eine liberale Auffassung?


In seiner politischen Philosophie vertritt Kant eher einen
Republikanismus, aber er ist auch Liberaler im Sinn der Geltung
unverletzlicher Grundrechte. Allerdings darf man Kant nicht einem
nationalen Liberalismus zuordnen. Er lebte in einem vornationalen
Zeitalter. Für ihn sind Staatsvölker willkürlich entstanden und
haben nichts mit Ethnien oder Abstammung zu tun. Dasselbe gilt
für Grenzen, die oft auf historischen Ereignissen oder
politischen Entscheidungen beruhen, die nicht unbedingt gerecht
oder moralisch gerechtfertigt sind. Gleichzeitig sind diese
Grenzen unantastbar, weil es unabsehbare Folgen hätte, wenn sie
beispielsweise aus ethnischen Gründen verschoben würden. Auch
heute haben viele Nationalstaaten eine recht heterogene
Bevölkerung, zum Beispiel Frankreich oder Spanien. Und welche
Folgen es hat, wenn man Staaten nach ethnischen Gesichtspunkten
formt, sah man zum Beispiel auf dem Balkan in den 90er Jahren.
Deshalb ist Einwanderung für ihn relativ unproblematisch.


Wie verhalten sich die Staatsvölker zueinander?


Die Staatsvölker, also die Einheiten der Bevölkerung, stehen für
Kant in Konkurrenz zueinander. Sie haben zwar das Recht, Menschen
aufzunehmen oder abzuweisen, aber keine Motive, die sich etwa aus
Leitkultur, Sprachpolitik oder religiöser Homogenität ergeben.
Für Kant ist es legitim darauf zu sehen, ob die Aufnahmeländer
von den Neuankömmlingen profitieren und umgekehrt. Er geht davon
aus, dass es genügend aufnahmebereite Länder gibt, zu seiner Zeit
etwa Nordamerika.


Was hat das mit unserem heutigen Verständnis von
Migration zu tun?


Migration aus heutiger Sicht ist ein riesiges Thema, das zum
Beispiel mit dem Klimawandel und der Bewohnbarkeit der Welt zu
tun hat, mit Armut, aber auch mit politischer Verfolgung,
illiberalen Gesellschaften und Kriegen wie dem in der Ukraine.
Aber auch zu Kants Zeiten gab es große Migrationsströme. So
verließen französische Hugenotten wegen mangelnder
Glaubensfreiheit ihre Heimat.


Was können wir von Kants Gedanken heute
mitnehmen?


Ein zentraler Gedanke ist die Loyalität gegenüber dem geltenden
Recht, sofern es philosophisch verankert ist. Das heißt, es muss
aus allgemeinen Vernunftgründen abgeleitet sein. Da das Recht
moralisch begründet ist, ist die Loyalität ihm gegenüber
unproblematisch. Sonst könnte man ja in einen anderen,
gerechteren Staat auswandern. Das ist ein Grund, warum Kant einen
globalen Universalstaat ablehnt: Eine Universalmonarchie kann zur
Diktatur entarten. Deshalb hält er ein Recht auf Aus- und
Einwanderung für fundamental.


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