Respektlosigkeit gegenüber Maschinen

Respektlosigkeit gegenüber Maschinen

8 Minuten
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Ich mache Sachen. Leben, Arbeit, Inspiration, halbwegs regelmäßig gesammelt.

Beschreibung

vor 1 Jahr

Während eine nie-endende Erkältung meine Nase und Lunge in Schach
hält, hat draußen ein Müllcontainer gebrannt. Nicht unserer, zum
Glück, aber nah genug, dass man es riechen und sehen konnte. A
pro pos brennende Müllcontainer: da war doch was.


Der blaue Müllcontainer brennt


Dieser Tage wärme ich mich auf an einem brennenden Twitter-Logo.
Wie ungefähr niemand verpasst hat, hat der Sohn eines
Edelsteinminenbesitzers aus Südafrika viel zu viel Geld für ein
Online-Medium bezahlt und weil er der Typ ist, der er ist, macht
er es jetzt mutwillig kaputt. Wer kann es nicht nachfühlen, wenn
man aus Versehen bei Kleinanzeigen ein zu teures Fahrrad kauft
und aus Ärger es gleich in den nächstbesten SUV lenkt. Jedenfalls
macht Laseraugen-Elektroautoverkäufer jetzt Twitter kaputt und
die Reaktionen darauf sind mir (mitunter) eine wahre Freude.


Bitter ist natürlich, dass ganze Teams in Massen gefeuert werden.
Ich denke jedoch, dass die meisten von ihnen mit einem hübschen
CV mit prominenter Twitter-Platzierung schon bald wieder einen
Job haben. Der Verlust liegt eher bei Twitter, denn
ohne Human Rights oder Accessibility Teams
wird die Plattform einfach nur schlechter. Und wie man so hört,
werden ein paar der per Email gefeuerten mittlerweile
angefleht, doch zurückzukommen. Sie würden noch gebraucht.


Schön ist, dass die Don't-call-it-a-Twitter-Altervative
Alternative Mastodon massiv zulauf erhält. Endlich kann man dort
nicht nur männlichen Tech-Nerds zuschauen, wie sie über Mastodon
schreiben, sondern auch tatsächlich sowas wie eine diverse
Timeline zusammenbauen. Es sind immer noch zu viele Männers und
zu wenig andere auf Mastodon, aber das ändert sich gerade. Ich
selbst bin auf mastodon.social zu finden, denn bei meinem
Wunschsserver chaos.social ist gerade Aufnahme-Stopp. Nur 42
Nerds werden jeden Tag um Mitternacht auf den Server gelassen.
Bubble gotta stay bubbly.


Witzig sind die ganzen "großen" Twitter-Accounts, die jetzt viele
Zeichen darauf verwenden, Mastodon schlecht zu reden. Ganz so,
wie Right-Wingers Sozialismus schlecht reden, indem sie Beispiele
von Kapitalismus-Versagen aufzählen, zählen Twitter-Influencer
Nachteile von Mastodon auf. Meine liebsten: Abhängigkeit von
Admins (Willkür bei Account-Bans ist ja bei Twitter gar kein
Thema) und schlechte UX (Twitters algorithmische Timeline wird ja
weithin für die usability gefeiert). Naja, da sehen halt ein paar
Leute ihre Follower-Felle davon schwimmen. Ich sehe darin eine
große Chance. Denn fast alle, die heute auf Twitter groß sind,
sind es aufgrund ihres Empörcontents – und da gibt es
ausnahmsweise tatsächlich mal keinen großen Unterschied zwischen
Links und Rechts. Auf Twitter empört man sich über die Regierung,
die Bahn, die Zugezogenen, die Asis, die Lehrer:innen, die
Schüler:innen, die Eltern, die Nachbarn, die Deutschen, die
Nicht-Deutschen, die Wirtschaft, die Linken, die Rechten, einfach
alles. Hauptsache, es knallt, die Likes kommen rein und der
Algorithmus zählt fleißig Engagement.


Das gibt es so (noch) nicht bei Mastodon. Ohne algorithmische
Timeline wird einem keine Reply oder "X gefällt Y" reingespült.
Das beschneidet Empörreichweite, und das gefällt Dauerempörten
weniger, mir aber umso mehr. Deswegen: Reject Twitter, Embrace
Mastodon.


(Ja, ich weiß, Mastodon ist bei weitem nicht perfekt, die Server
sind gerne mal überlastet, die User-Anzahl gering, Diversity ist
eher ein Ziel als eine Realität, die Suche ist schlechter, man
kann keine Posts planen, der Name ist fürchterlich, und und und.
Da kann und wird sich noch viel dran ändern. Zum jetzigen
Zeitpunkt geht mir Mastodon auf jeden Fall weniger auf die Nerven
als Twitter.)


Und sonst so?


Oktober, und scheinbar auch November, wurden unsere
beschäftigsten Monate des Jahres mit Ansage. Der Kitawechsel des
Großen verläuft zwar sehr erfolgreich, jedoch endet die
Fremdbetreuung derzeit noch um 12:00 mittags und das lässt
einfach nicht viel Zeit für irgendwas produktives. Eine schöne
Sache haben wir aber erfahren dürfen: Kitas müssen gar nicht
dysfunktional organisiert, latent überfordert und wenig
kommunikativ sein. Scheinbar ist es auch in Berlin legal, eine
freundliche Kita-Leitung, motivierte Erzieher:innen und schöne
Räumlichkeiten zu haben.


Im Mit Kindern Leben Podcast von Patricia Cammarata und Casper
Clemens Mierau, den ich mir unlängst zu Gemüte führte, schildert
Patricia etwas ähnliches. Eines ihrer Kinder wechselte die Schule
und auf einmal war alles besser. Windmühlen, gegen die sie
ankämpfen musste, wurden zu Verbündeten. Unüberwindbare Probleme
verschwanden einfach. Alles dank eines Wechsels.


Ich lerne daraus: es ist ok, ein System verändern zu wollen, aber
wenn es mit ehrlichen Versuchen nicht klappt, lohnt sich ein
Wechsel fast immer. Denn manches will sich nicht ändern lassen,
manches will verlassen werden.


Wie TikTok mir half, eine Espressomaschine zu reparieren


Außerdem habe ich noch meine Siebträgermaschine gewartet. Es hat
etwas unglaublich befriedigendes, so eine Maschine auseinander zu
nehmen, zu reinigen, instand zu setzen und wieder funktionierend
zusammen zu bauen. Ich mache das jetzt seit einer Weile mit
allerlei Haushaltsgeräten und ich kann es nur empfehlen. Wir
haben viel zu viel Respekt vor Spülmaschinen, Waschmaschinen,
Kaffeemaschinen und was sonst noch so im Haushalt hilft. Dank
meiner Respektlosigkeit Maschinen gegenüber habe ich schon
Heizpumpen und Motoren getauscht, verschollene Wäsche aus den
Tiefen der Waschmaschine geklaubt und gerade dieses Wochenende
ein halbes Kilo Kalk aus meiner Kaffeemaschine geholt.


Dabei ist mir aufgefallen, dass wir in eine neue Ära von DIY
eingetreten sind. Die läuft jetzt schon ein paar Jahre. Früher
konnte man Geräte reparieren, weil sie selbsterklärend aufgebaut
waren. Man brauchte kein Handbuch, ein Küchenmixer war schnell
aufgeschraubt, der Motor sah aus wie ein Motor und einfache
Standardteile ließen sich einfach austauschen (so stelle ich es
mir anhand von Erzählungen vor). Dann, dann kam die Wende, und
der Spaß war zu Ende. Also zeitlich gesehen, so irgendwann in den
80ern und 90ern, wurde alles elektronisch, miniaturisiert und
kompliziert. Reparieren wurde zusehends schwieriger, bis in die
2000er, wo ein Defekt meistens zu einem Komplett-Austausch
führte. Ich habe da keine Zahlen für, aber ist auch egal, der
Punkt kommt jetzt: Seit YouTube und meiner Meinung nach noch mehr
seit TikTok werden Reparaturen wieder zugänglich. Auf YouTube
habe ich einen kompletten Teardown meiner Kaffeemaschine
gefunden, ohne den ich es nur schwer selbst geschafft hätte. Dort
habe ich auch schon Hilfe für Spülmaschinen und Waschmaschinen
gefunden.


TikTok ist nicht so gut in Durchsuchbarkeit und langfristiger
Dokumentation. Dafür ersetzt es für mich das tradierte Wissen.
Früher lernte man von Elternteilen, wie man einen Knopf annäht,
eine festgefressene Schraube löst oder eine Zwiebel schneidet.
Einiges davon haben meine Eltern mir beigebracht, aber etliches
davon "musste" ich selbst irgendwann lernen. Und hier hilft
TikTok: Lifehacks lösen oft diese kleinen Problemchen, die man
nicht googlen kann. Tipps, die sonst Mentor:innen beim
gemeinsamen Machen teilen, finden sich jetzt auf TikTok in 60
Sekunden oder weniger.


Für mich war es eine Schraube. Die war so verkalkt, dass ich sie
bei einem früheren Versuch mit viel roher Gewalt nicht lösen
konnte. TikTok sagte mir dann: Nutze einen Hammer und gebe
leichte Schläge auf Deine Ratsche. In Sekunden war die Schraube
lose. Und so hat mir TikTok geholfen, meine Kaffemaschine zu
reparieren und ihre Lebensdauer zu verlängern.


Mittlerweile ist es mir auch nicht mehr peinlich, in einem
Gespräch TikTok als Quelle anzugeben – so viel habe ich dort
schon gelernt. Ich sage stattdessen mit Stolz: Neulich hab ich
auf TikTok gesehen, wie diese dicke Katze mit der dünnen Katze
zusammenlebt und dann war da dieser Sound wo eine Frau erzählt
man hat immer zwei Katzen, eine dicke und eine dünne, weil die
dicke frisst der dünnen das Futter weg und dann sagt der
Tierarzt...


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