In der Haut des Judas (Morgenandacht DLF vom 5. April 2023)

In der Haut des Judas (Morgenandacht DLF vom 5. April 2023)

4 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Letzten Herbst stand ich im Groeningen-Museum in Brügge vor dem
Letzten Abendmahl des Malers Pieter Pourbus aus dem Jahr 1562.
Man sieht Jesus, der mit der rechten Hand das Stück Brot in der
linken segnet. Um den Tisch sitzen die Jünger. Jesus gegenüber,
mit dem Rücken zum Betrachter, sitzt Judas, der Jesus verraten
wird. Erkennbar an dem Beutel mit Geld in der Hand.


Es scheint, als wolle er gerade aufstehen. Der linke Fuß ist
leicht hinter den Hocker gestellt – und dieser Fuß stellt mich
vor ein Rätsel: Zwischen dem Knöchel und den Zehen klafft
seitlich eine Lücke in der Haut. Darunter ist eine zweite
Hautschicht zu sehen. Die obere Hautschicht wird – wie ein
Wanderschuh – mit einem Band an Ösen zusammengehalten.


Es scheint, als habe Pourbus Judas als einen Mann darstellen
wollen, der in der Haut eines anderen steckt. Aber was soll das
heißen? Ist das der Verräter im Freund oder der Freund im
Verräter? Der Wolf im Schafspelz oder das Schaf im Wolfspelz?


Judas ist ja beides: am Anfang der von Jesus zu seinem Apostel
Berufene und Bevollmächtigte – und am Ende der, der Jesus für 30
Silberlinge an den Hohen Rat verrät.


Ich stehe vor dem Bild und denke an diese beiden Möglichkeiten:


Vielleicht hat Pourbus Judas als den Wolf im Schafspelz
darstellen wollen. Es gibt im Johannesevangelium der Bibel ein
dunkles Wort über den Entscheidungspunkt des Judas. Da heißt es:
Als Judas beim Abendmahl aus der Hand Jesu ein Stück Brot nimmt,
„fuhr der Satan in ihn“ (Joh 13,27). Dieser Satz hat mit dazu
geführt, Judas einfachhin als Inkarnation des Bösen darzustellen.
Ist es also der Fuß des bösen Feindes, der unter der Haut des
Judas hervorlugt? War Judas nur noch die Hülle des Satans, der
von ihm Besitz ergriffen hatte?


Ich glaube, damit macht man es sich zu einfach. Judas war nicht
einfach zum Bösen verdammt. So etwas tut die Liebe Gottes nicht.
Ungeachtet seiner Schwächen war er ja doch einer der Zwölf von
Jesus Auserwählten. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem etwas
Gegensätzliches zu der Freundschaft mit Jesus in Judas immer
mächtiger wurde: War es nur Gier? War es Rache für die
enttäuschte Hoffnung auf eine politisch Revolution? Wollte er
Jesus so zu einem Wunder und einer Selbstoffenbarung als Messias
zwingen? Viel wurde darüber spekuliert. Wir wissen es nicht.


Die zweite Möglichkeit ist, dass uns das Bild den Judas in der
Haut eines anderen, also das Schaf im Wolfspelz zeigt.


Mich erinnert das an eine Erzählung in den Chroniken von Narnia
von C. S. Lewis: Ein Junge namens Eustachius Knilch will einem
Drachen dessen Schatz stehlen. Je mehr er von dieser Idee
besessen ist, umso mehr verwandelt er selbst sich in diesen
Drachen. In der Gestalt und Haut des Drachen begegnet er seinen
Freunden wieder. Sie helfen ihm, zu erkennen, wozu er geworden
ist. Das weckt seine Sehnsucht, wieder der zu werden, der er von
Gott her eigentlich ist. Es beginnt der Prozess einer mehrfachen
Häutung. Bei der Begegnung mit dem Löwen Aslan wird er
schließlich durch einen tiefen schmerzhaften Schnitt aus den
Resten der Drachenhaut befreit und bekommt seine wahre
Lebensgestalt zurück.


Vielleicht ist es das: Auf dem Bild schaut am Fuß noch ein wenig
die Lebensgestalt des ursprünglichen Judas Iskariot hervor, den
Jesus erkannt und erwählt, berufen und geliebt hat.


Das Evangelium weiß nichts von einer weiteren Begegnung zwischen
Judas und Jesus. Judas verzweifelt und erhängt sich. Aber der
Maler Pourbus mag uns sagen, dass wir nicht aufhören sollen, für
Judas zu hoffen. Und für uns selbst. Dass es noch während unseres
Lebens zu jener Häutung kommt, bei der wir aufhören, andere zu
sein, als wir für Gott eigentlich sind, und wieder anfangen, nach
jenem Anfang zu fragen, der auch bei Judas die Erwählung eines
geliebten Freundes war.


Fra' Georg Lengerke

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