io++059 - ST42 beim anti-faschistischen festival in berlin am 28. september 1979.

io++059 - ST42 beim anti-faschistischen festival in berlin am 28. september 1979.

13 Minuten

Beschreibung

vor 15 Jahren
man erinnert sich vielleicht: ich schreibe "anti-faschistisch"
immer mit trennungsstrich (nicht: bindestrich!), um den abstand
auch im begriff selbst zu verdeutlichen. und um nicht das wort mit
ihnen teilen zu müssen wird das wort eben geteilt. man erinnere
sich weiter: in io++049 war bereits ein stündchen musik vom
anti-faschistischen festival zu hören; allerdings von den meisten
bands nur ein stück. dank joost (damals: meniscus; später: VD und
luzibär; jetzt: herzlutschen) sind nun einige bänder mit
ausführlicheren klängen aufgetaucht: mono-aufnahmen aus der
warteschlange vorm eingang; aber identifizierbar und
herzerfrischend. nach und nach wird hier so manches dokumentiert
werden. wir beginnen also heute zufällig in nichtalphabetischer
reihenfolge mit ST42. ralf zeigermann aka the cartoonist war damals
der gitarrist. ihm habe ich vor einigen tagen die aufnahmen zum
absegnen geschickt und er hat sie jetzt nach bald dreissig jahren
tatsächlich zum ersten mal gehört. seine erinnerungsmaschine begann
zu sprudeln und im folgenden überlasse ich ihm unredigiert das
wort. das foto etwa aus der zeit zeigt von links nach rechts die
weiter unten aufgeführten chris, thomas, renate und ralf. herr
zeigermann, bitte sehr.... >>>>> An diesen
chaotischen Tag, bzw jene chaotische Nacht kann ich mich allerdings
noch gut erinnern. Berlin, diese geteilte und durchaus gar nicht so
charmante Stadt. Aber der Reihe nach. Ich hatte Gitarre bei Neat
gespielt, doch kam es zu unlösbaren musikalischen Differenzen
zwischen mir und der Band, wie das so oft geschah in diesen
fröhlichen, aber auch seltsam harten Zeiten, jenen Zeiten, die
akustisch angereichert waren von den schrillen Klängen der Damned,
der Stranglers, Artery, der Vibrators, Wire, S.Y.P.H., Charley's
Girls und auch ab und an von den Feedbacks der Sex Pistols und
natürlich der Clash. Jedenfalls stieg ich aus bei Neat und etwa
Mitte 1978 wurden ST42 in Dortmund gegründet, mit Thomas, einem
echten Rauhbein aus dem Dortmunder Norden als Sänger, Renate am
Schlagzeug und Chris am Bass. Richtig die Instrumente bedienen
konnte keiner von uns, singen konnte Thomas schon gar nicht, aber
was machte das schon. Wir hatten diverse Auftritte im Ratinger Hof
in Düsseldorf, im Masterpiece in Dortmund, im Okie Dokie in Neuss
und eines Tages verblüffte Thomas uns mit der Nachricht, daß er
irgendwie (Thomas war da immer recht findig) einen Gig in Berlin
bei "irgendsoeinem Festival" organisiert hätte. Als der Termin
näherrückte, war Chris schon nicht mehr dabei ‐ es hatten sich
unlösbare musikalische Differenzen ergeben und so erklärte Bernd,
der eigentlich Gitarrist bei den Clox war, sich bereit, als Bassist
einzuspringen. Wir schoben noch eine schnelle Probe ein, befanden
Bernd für gut genug und los gings. Die Fahrt im Interzonenzug ‐
hieß das eigentlich damals noch so? ‐ war ereignislos, trotz
unserer wilden Aufmachung wurden wir entäuschenderweise weder von
Schaffnern noch von Grenzern belästigt und kamen irgendwann
nachmittags in rechter Bierlaune (zu der Zeit gab es noch
sogenannte "Speisewagen") in Kreuzberg an, wo wir auch rasch von
Blitz begrüsst wurden, der, wenn ich mich recht erinnere, bei der
berliner Band Katapult die Gitarre bediente und von Beruf
Elektriker war, was ja irgendwie ziemlich gut zusammenpaßt. Blitz
begleitete uns zum Audimax, welches bereits brechend voll war und
ST42 verfiel erstmal und fortan in gemeinschaftliche Panik. Da gab
es doch tatsächlich eine richtige Bühne mit richtigem Publikum
unten vor. Es war schon fast unangenehm; wenn man auf der Bühne
stand und runterblickte, war unten alles schwarz von Menschen, wir
hatten den Eindruck, es wären mindestens 30.000, achwas, 100.000
Wahnsinnige dort unten. Unsere Schlagzeugerin mußte sich direkt
übergeben, allerdings leider draußen vor dem Audimax ‐ hätte sie's
drinnen getan, hätte uns das wahrscheinlich einige Pluspunkte bei
dem berliner Publikum einbringen können. Wir waren relativ spät
dran ‐ nach uns spielten, glaube ich, nur noch Katapult und Auswurf
‐ und man hatte uns in einem Raum hinter der Bühne untergebracht,
wo wir weiterhin Trübsal blasen und unser Lampenfieber pflegen
konnten. Allerdings waren in diesem Raum auch die Getränke
untergebracht, die an das gemeine Volk weiterverkauft werden
sollten. Dieser Weiterverkauf scheiterte zumindest teilweise daran,
daß ST42 und die holländische Band Oneway Subway sich über die
Bierkisten hermachten, mit dem Erfolg, daß Thomas und Bernd nicht
nur nervös, sondern auch noch sturztrunken auf die Bühne
stolperten. Spätnachts also spielten, sangen und siegten wir. So
zumindest unser Eindruck. Für den Rest der Nacht hatte Blitz uns
und vielen anderen eine Unterkunft in einer Kreuzberger
Wohngemeinschaft verschafft, deren Mitglieder eine seltsame
Mischung aus Anarchos, Punks, Hippies und Alternativen darstellte.
Als ich frühmorgens aufwachte, weil ein riesiger deutscher
Schäferhund zart, zugleich aber auch agressiv über mein Gesicht
leckte, suchte ich in dieser irrgartenähnlichen Altbauwohnung
erstmal das Klo, immer darauf bedacht den Hund nicht unnötig zu
reizen, der meinen Abgang mit leicht ärgerlichem Knurren
kommentierte. Die erste Tür, die ich öffnete, führte in eine
fotografische Dunkelkammer, die sich auf den ersten Blick als
ungeeignet für mein Vorhaben erwies, da es einfach zu dunkel darin
war. Egal, ich musste dringend aufs Klo und stakste verzweifelt
weiter den unendlich langen Korridor hinauf (oder hinab); hinter
der zweiten Tür fand ich einen kahlen Raum, in dessen Mitte eine
nackte Frau zusammen mit zwei nackten Männern auf einer Matratze
lag und augenscheinlich alle tief schliefen. Dort in eine Ecke zu
pinkeln, wäre mehr als unhöflich gewesen, auch wenn meine
Bestürzung ob dieser nach kleinerem Gruppensex aussehenden Tatsache
beinahe zu einer Spontanentleerung meiner Blase geführt hätte. Als
nächstes fand ich die Küche, dann mehrere weitere schlafende
Menschen in diversen Zimmern, Räumen und Kabuffs dieser entsetzlich
großen Wohnung und nach unendlich langer Zeit (so kam es mir
jedenfalls vor) schließlich auch das Klo; gerettet. Renate und ich
fuhren am gleichen Tag mit dem sozialistisch-demokratischen Zug
wieder gen Dortmund, während Thomas und Bernd, mit Akustikklampfe
und lauter Stimme ausgestattet, in Berlin noch zwei weitere Tage
lang auf den Straßen Berlins ST42 Songs zum Besten gaben. Wegen
unlösbarer musikalischer Differenzen löste ST42 sich einige Monate
später auf, um Anfang der achtziger Jahre in neuer Besetzung
wiederaufzuerstehen, mit neuen und wahrscheinlich besseren Liedern.
Aber das ist eine andere Geschichte, die hier überhaupt nicht
hingehört. Nach all den Jahren ist ausgerechnet jetzt und über
verschlungene Umwege eine Cassette aufgetaucht, auf der ST42 live
beim antfaschistischen Festival in Berlin zu hören sind. Von den
etwa 10 Liedern, die wir dort gespielt haben, scheinen fünf davon
in analoger und jetzt digitaler Form überlebt zu haben, sozusagen
eingefroren für die Ewigkeit. Ich bin eigentlich nur froh, daß wir
niemals richtig kacke waren, sonst wäre das alles jetzt
hochnotpeinlich. Hier sind sie nun, diese 5 Tracks: 1. Technik
Einer unserer typisch sozialkritisch-paranoiden Songs: Elektroautos
im Sauerland Lightshow in der Saturday Night Infrarot im
Schweinestall Bauern jetzt mit K-Energie Technik über Wald und See
2. Speicherbänder Schon 1979 sahen wir weise voraus, was da auf uns
alle zukommen würde. 3. Notstand Wieder ein hochgradig politisches
Lied: MPs im Dunkel Schreie gellen Helme blitzen Polizei in den
Gassen Ruft den Notstand aus 4. Crazy George Ein englischer Text,
geschrieben von "Crazy George" himself, sympathisch deutsch
vorgetragen von Thomas. George war einer der englischen Soldaten,
die zu der Zeit noch in Dortmund stationiert waren und gehörte am
Rande mit zu der fröhlichen Truppe dortmunder Punks. Jedenfalls
singt Thomas im Refrain nicht etwa "He can't do nothing right"
sondern vielmehr "Winnetou, naß und kalt", oder auch mal "Wer kommt
hier, naß ich weiß". 5. Auschwitz Au weia. Nach Berlin nannten wir
den Song intern immer nur noch "Aus-Schwitz", da er uns den Ruf
einbrachte, wir wären Nazis, was möglicherweise an dem etwas
mißverständlichen Text gelegen haben mag. Was aber andererseits
natürlich kompletter Hirnriß war, weil Nazis wohl nie auf einem
antifaschistischem Festival gespielt hätten. Nach all den Jahren
habe ich diese Aufnahmen nun zum ersten Mal gehört und ich finde,
so schlecht waren wir gar nicht. Und bedanken möchte ich mich bei
Ralf, der mir den MP3 schickte und höchstwahrscheinlich hier an
dieser Stelle veröffentlicht; bei Karin vom Guten Abzug und bei
Joost von Luzibär für die Weiterleitung des Tapes und überhaupt bei
allen für alles. Ralf Zeigermann >>>>> hier enden
die zeigermannschen anekdötchen (man erkennt es leicht an der
rückkehr der radikalen kleinschreibung) und jetzt folgt musik:
|>>: ST42 - live in berlin am 28. september 1979

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