Beschreibung

vor 15 Jahren

Ein Gefangener ist entkommen - eine Science-Fiction
Kurzgeschichte


- anhören: mp3 (eingesprochen / Hörbuch).


Heißer Kaffee in einer Tasse kühlt sich langsam ab. Dicke Finger
zucken an der Tasse. 15 Augen ruhen auf der anderen Hand. Der
Abzug zittert unter dem Zeigefinger, als sich der Lauf auf den
ersten Beobachter richtet. Schweißperlen bilden sich auf dessen
Stirn und fangen sich in den buschigen schwarzen Augenbrauen.
Seine Augen weiten sich.


"Ich hätte ihn fast gehabt, aber er ist in Alex' Gebiet gerannt!"


Der Abzug knirscht. "Ich dachte nicht, dass ihn jemand erwischt
hat!" Langsam lässt der Druck auf dem Abzug nach. Ein anderer
meldet sich zu Wort. "Du hattest ihn direkt im Visier, du hättest
ihn stoppen können." Der Erste beißt die Zähne zusammen. Ein
weiterer unter den 15 spricht. "Der Schuss wäre unsicher gewesen.
Er hätte ihn töten können." Langsam senkt sich der Lauf und der
Erste atmet tief durch.


Der Zweite spricht wieder. "Das Gelände ist sicher. Er kann kaum
mehr als ein paar Kilometer zurückgelegt haben. Sicherlich wird
Jan ihn schnell zurückbringen." Der Erste nickt nach kurzem
Zögern "Ich bitte darum sofort beginnen zu können."


Ein vielstimmiges erleichtertes Seufzen folgt dem Klacken der
Sicherung. Dann wird die Tasse weggeschoben und die Beobachter
verlassen den Raum.


Ein Lappen gleitet widerstandslos über das blanke Metall, als Jan
die Wartung seines Schwebewagens beendet. Liebevoll fährt er mit
den Fingerkuppen über das Wappen der Koll Sicherheit, dann wirft
er den Lappen in die Ecke und öffnet das Einstiegsfenster.
Nachdem er das Betäubungsgewehr verstaut hat, drückt er einen
Knopf, dreht sich um und hört seufzend das leise Zischen, mit dem
sich die Kabine schließt.
Drei Stunden später startet er den Schweber. An dem
Armaturenbrett hängt eine topologische Karte des gesamten Gebiets
innerhalb der Sicherheitszone, eines fast perfekten Kreises um
das Hauptgebäude, der nur von der Laras-Schlucht durchbrochen
wird, in die Gleiter nicht einfliegen können. Ein Netzwerfer
liegt auf dem Rücksitz.


Zwanzig Minuten später leuchtet eine blasse Spur auf dem Display
auf. Der Pilot blickt auf die Karte, seufzt und schwenkt zur
Laras-Schlucht.
"Scheinbar kennt er das Gelände" schallt aus dem Lautsprecher in
der Zentrale.


"Verdammte Scheiße" schallt durch die Luft in der Schlucht, als
Jan den Netzwerfer aus dem Schweber holt. Während er noch die
Spur auf der Karte nachzeichnet, steigt er in die Schlucht ab.
Auf dem Display des Betäubungsgewehrs erscheinen verschiedenste
Fehlercodes, als der bleiche Staub aus der Schlucht aufwallt, ihn
einhüllt und in jede Ritze der Waffe dringt.
Der Staub senkt sich wieder, hinterlässt ein bleiches Gespenst in
der Landschaft, in Jans rechter Hand ruht das blinkende
Betäubungsgewehr, auf dem Rücken der Netzwerfer, dessen breite
Spitze fast den bleichen Boden berührt. Bei jedem Schritt wallt
Staub auf, eine breite Spur markiert den Weg.
Ein paar kräftige Schläge auf die Jacke lösen den Staub,
vereinzelte Strahlen der Sonne über der Schlucht schneiden
leuchtende Fäden in die Luft und erhellen eine kleine Höhle.


Ein leises Piepen wird von den porösen Wänden der Höhle
aufgesogen, wie Wasser von feinem Puder, als Jan den Netzwerfer
aktiviert. Im inneren der Höhle ist der Boden frei von
Staub.
Zögernd geht er tiefer hinein und sofort umschließt ihn
Dunkelheit, die nur von dem kleinen Lichtstrahl aus der Spitze
des Netzwerfers durchdrungen wird.
Plötzlich schwingt der Strahl zur Seite. Auf dem Boden, in einer
kleinen Nische an der Wand, sitzt ein Mensch in zerrissener
Kleidung. Das Licht wird von angstvoll geweiteten Augen
reflektiert.
Ein leises Zischen aus der Waffe und das Netz umschlingt sein
Opfer.


"B 28, eine Flucht ist sinnlos. Strecken sie zur Identifikation
eine Hand aus dem Netz."
Nachdem er die Markierung abgelesen hat, berührt Jan das Netz an
den Beinen des Gefangenen mit einem dünnen Stift, den er dem
Netzwerfer entnimmt. Die Schnüre zerfasern und binnen
Augenblicken sind die Beine des Gefangenen frei.
"Stehen sie auf, wir gehen."
Außerhalb der Höhlenöffnung bildet fliegender Staub eine
undurchdringliche, grau-weiße Wand.
"Setzen sie sich."


Minuten später weht der Staub noch immer. Der Gefangene sitzt an
die Wand gelehnt, hält den Kopf gesenkt, die Beine ausgestreckt.
Seine Arme werden von dem Netz an den Körper gedrückt.
Langsam hebt er den Kopf.
"Warum wurden sie geschickt, um mich zu fangen?"
"Weil sie geflohen sind."
"Aber warum sie?"
"Weil ich sie verloren habe." antwortet Jan und richtet den
Netzwerfer wieder auf den Gefangenen. Dieser blickt zur Seite und
fragt so leise, dass es fast in dem Rauschen des Windes
untergeht:
"Wissen sie eigentlich wieso ich eingesperrt bin?"
"Schweres Verbrechen gegen den Staat." Der Gefangene sieht ihn
wieder an.
"Glauben sie, alle hier hätten Verbrechen gegen den Staat verübt?
280 Häftlinge, alle unter Sonderbewachung, eher nicht
gewalttätig."
"Seien sie ruhig."


Eine halbe Stunde später weht der Wind noch immer. Zögerlich
fragt B28:
"Wie heißen sie eigentlich?" Jan, der in Gedanken versunken war,
sagt es ihm. Kurz darauf steht er auf. Er packt B28 an der
Schulter, dann gehen die beiden tiefer in die Höhle. Der dünne
Lichtstrahl wandert über die rauhen Wände und den
kahlgescheuerten Boden.
B28 geht schleppend. Seine formlosen grauen Schuhe gleichen der
Farbe des Bodens. In den Wänden klaffen unzählige kleinere und
größere Löcher, die deutlich ins Blickfeld rücken, als die beiden
eine Biegung erreichen.


Plötzlich springt B28 vor. Überrascht bleibt Jan kurz stehen,
bevor er die Verfolgung aufnimmt. Das Licht fällt auf ein Loch im
Boden. Vom vorderen Rand fällt der Grund steil ab in die Schwärze
und auf der Schrägung liegt B28, die Füße ins Dunkel
hängend.
Jan tritt vorsichtig näher heran, legt den Netzwerfer auf den
Boden, stützt sich am Rand ab und streckt eine Hand hinunter. Als
er das Netz berührt, greift B28 mit einer Hand durch die Maschen
und umfasst die Hand seines Wächters.


Der Netzwerfer steht aufrecht zwischen zwei Menschen.
"Ich hätte dich töten können." sagt B28 leise.
In der darauffolgenden Stille streicht ein schwacher Luftzug
durch den Gang. Außer dem Atem der beiden Menschen ist nur das
gedämpfte Rauschen des Windes in der Schlucht zu hören.
Behutsam legt Jan den Netzwerfer zu Boden und löst die letzten
Stränge, die seinen Gegenüber noch halten.
"Wie heißt eigentlich du?"
"Briak Dorek. Was machst du?"
"Du kannst nicht entkommen, also kann ich das Netz auch lösen.
Was hast du getan?"
"Ich habe versucht zu fliehen, weil ich nicht wieder zurück will.
Warum bist du Wächter?"
Jan antwortet nach kurzem Schweigen: "Weil ich nur hier fliegen
kann. Warum wurdest du eingesperrt?"
Minutenlang sieht Briak Jan schweigend an. Die Gesichter sind
kaum zu erkennen, bis Jan den Netzwerfer wieder nach oben richtet
und die hellere Decke den Strahl reflektiert.
Dann setzt sich Briak an die Wand und deutet mit dem Finger auf
ein schwach schimmerndes Metallplättchen an seinem Hals.
"Das ist der Grund."
Er zögert, fährt aber fort, als Jan beharrlich schweigt:
"Mit drei Jahren war ich Teil eines Forschungsprojektes. Meinen
Eltern wurde gesagt wenn es Erfolg hätte, würde ich bessere
Chancen auf einen guten Job haben und wenn es Fehlschlüge
bestände keine Gefahr.
Das Projekt war langfristig geplant. Ich erfuhr erst mit vierzehn
davon, fünf Minuten bevor wir ins Forschungszentrum fuhren.
Sie wollten nur noch eine letzte Untersuchung machen und sagten,
es wäre ein Fehlschlag gewesen, ich sollte jedoch mit
einundzwanzig noch einmal vorbeikommen, aber das Einzige, das
mich damals interessierte, war dass ich mich an dem Tag mir einem
Mädchen treffen wollte." Briak lacht laut auf, doch der Ton wird
von den Wänden geschluckt, als hätte es ihn nie gegeben.
"Nach der Untersuchung hatte ich keine Möglichkeit mehr dazu. Ich
wurde weggebracht, dann bin ich hier gelandet."
Wieder zieht sich das Schweigen in die Länge. Das Rauschen des
Windes wallt auf und wird wieder schwächer und wallt wieder auf,
wie ein riesiger Herzschlag.
Unvermittelt fragt Jan:
"Und was ist mit dem Implantat?" Briak antwortet leise:
"Wenn sie es entfernen, kann ich es ihnen zeigen."


Zischend öffnet sich das Dach des Hangars der Koll-Sicherheit. Im
grellen Gegenlicht taucht die Silhouette eines Gleiters auf. Eine
Scheibe reflektiert die Sonne und Lichtreflexe huschen über den
Boden, über andere Gleiter und ein breites Gesicht.
Metall klackt leise auf Metall, als der Gleiter auf dem Boden
aufsetzt, leise Echos hallen von dem Wänden des fast leblosen
Raumes zurück.
Der Mensch tritt an die Tür des Gleiters, ein leises Zischen, als
die Druckluft entweicht, dann öffnet sie sich und gibt das zweite
Lebewesen im Raum frei. Ein dünnes Band aus halbgetrocknetem
Blut, braun wie die Rückstände auf den Gleiterkufen, zieht sich
über die rechte Wange, an den buschigen Augenbrauen, dem
geschwollenen Auge und dem aufgeplatzten Mundwinkel vorbei zum
Kinn. Der Beifahrersitz ist leer.
Der Pilot stolpert und fällt dem ersten in die Arme. Bevor er die
Augen schließt, murmelt er leise:
"Ich habe ihn verloren."


Heißer Dampf aus der Kaffeemaschine steigt in Wolken in die Luft,
Eine Hand schließt sich hart um die leere Tasse. 15 Augen ruhen
auf der anderen Hand. Der Abzug zittert unter dem Zeigefinger,
als sich der Lauf auf den ersten Beobachter richtet.
Schweißperlen bilden sich auf dessen Stirn und fangen sich in
einem weißen Pflaster über der rechten Braue. Seine Augen weiten
sich. "Ich hätte ihn fast gehabt, aber er hat mich in der
Schlucht überwältigt!"
Der Abzug knirscht. "Es war ein Hinterhalt, eine Falle!"
Der Lauf zittert etwas und richtet sich auf die Stirn des Ersten.
Ein anderer meldet sich zu Wort: "Du hattest deine Chance."
Ein Schweißtropfen löst sich vom Kinn des ersten. 15 Blicke
huschen durch den Raum. Wie eine wabernde Sphäre taumelt der
Tropfen in die Tiefe. Die Blicke richten sich auf den Lauf. Nur
noch Zentimeter trennen den Tropfen von den Fließen. Der Lauf
weitet sich zu einem dunklen Tunnel vor den Augen des Ersten. Der
Tropfen flacht sich ab, muss in Augenblicken den Boden berühren
und in tausend Spritzer zerspringen. 15 Augenlieder zucken, als
der Abzug knackt. Der Tropfen berührt den Boden. Ein Knall ertönt
und die Tür fliegt scheppernd durch den Raum. Der Lauf ruckt zur
Seite und der Zweite bricht mit aufgerissenen Augen zusammen. Die
Waffe fliegt von unsichtbarer Kraft gezogen durch die Luft, wird
gefangen und ein zweiter Schuss kracht. Langsam lösen sich die
dicken Finger von der Tasse. "Jan komm raus!" Der Erste steht auf
und stolpert zur Tür. "Briak, was machst du?" Kaffee strömt aus
der Maschine in die Tasse. "Den ersten Kaffee seit Jahren, hast
du alles gepackt?"
"Im Schweber, was ist mit den anderen?"
"Sind auf dem Weg nach draußen, die Schlüssel haben gepasst."


Zwanzig Stunden später landet ein Schweber im Hangar des
Raumhafens. Zwei Stunden darauf startet eine Fähre.


Vor einem Fenster stehen drei Gestalten, stehen helle Schatten
vor der Schwärze des Alls.
"Ihre Autorisation ist korrekt, Pilotenlizenz bestätig."


Ein Jäger verlässt die Station. Die Triebwerke feuern und die
Station verschwindet in der Schwärze.
"Hast du dich entschlossen, Jan?"
Der Jäger erzittert von dem Dröhnen der Triebwerke, dann wirft
der Schub beide in die Sitze.


Stunden später klopfen die Triebwerke ein letztes Mal, das
Dröhnen hallt noch kurz nach und erstirbt. Die leuchtenden
Anzeigen spiegeln sich in den ekstatisch glänzenden Augen des
Piloten. Seine Stimme verwebt sich mit der Stille zu einem neuen
Muster:
"Ich fliege mit euch, und sei es in die Unendlichkeit."
AnhangGröße jan-waechter-koll.mp314.96 MB

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