Was ist... Chiaroscuro?

Was ist... Chiaroscuro?

6 Minuten

Beschreibung

vor 2 Monaten

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Wo Licht ist, da ist auch Schatten - manchmal auch sehr viel
Schatten. Keine Sorge, wir sprechen hier nicht von Sünden,
Lastern und Heimlichkeiten, sondern immer noch über Kunst.
“Chiaroscuro”, eine Zusammensetzung aus “Chiaro”, hell oder klar,
und “scuro”, dunkel, finster, bezeichnet in der Malerei eine
insbesondere im Barock wirkungsvoll eingesetzte extrem
übersteigerte Wirkung von Licht und Schatten, um eine emotional
dramatische und bewegende Bildatmosphäre zu erzeugen.


Dass sich mit starkem Kontrast von Hell und Dunkel dramatische
Bildstimmungen erzeugen lassen, das haben bereits im alten
Griechenland Künstler wie Apollodor von Athen erkannt, der mit
schraffierten Schatten Körpervolumen andeutete. Mit dem
Wiedererstarken der Malerei in der Protorenaissance lassen sich
dann in Werken wie "Die Geburt Christi" von Giotto di Bondone im
14. Jahrhundert wieder erste klare Ansätze gezielter Raum- und
Körpergestaltung mit Licht und Schatten erkennen.


Vor allem aber in der Hochrenaissance intensivierte sich die
Auseinandersetzung mit den sich bietenden
Darstellungsmöglichkeiten von Körperlichkeit und Raumtiefe. Die
Entwicklung der Zentralperspektive unter anderem durch Masaccio
gab den Künstlern die Möglichkeit, durch raumlogische
Konstruktion die Illusion von Tiefe und realistischer Proportion
auf einer ebenen Malfläche zu erzeugen.


Die Künstler der Zeit waren dabei aber nicht nur von der
mimetischen Wiedergabe der mit den Augen wahrnehmbaren Raum- und
Lichteffekte, sondern insbesondere von deren Auswirkung auf die
narrativ-emotionale Dramatik der Bilder fasziniert. Da Vinci
verlieh seinen Figuren Körpervolumen, indem er in seinen
Zeichnungen zunächst auf farbigem Papier die dunklen Töne setzte,
und sich dann zu den helleren Tönen vorarbeitete. Einzelne
Lichtakzente fügte er meist mit weißer Gouache oder heller Kreide
hinzu. Systematisch entwickelte er den Einsatz von Schlag- und
Binnenschatten weiter.


Ein wesentlicher Faktor auf dem Weg hin zu gesteigerter
Plastizität und Raumwirkung in der Malerei war die Entwicklung
der Ölfarbe. Vor der Renaissance war die schnelltrocknende
Temperafarbe, gebunden mit Ei oder Kasein, das beliebteste
Malmedium. Aufgrund seiner kurzen Trocknungszeit ist es
allerdings recht schwierig, sanfte Farbverläufe zu erzielen.
Darüber hinaus eignet sich Tempera aufgrund der hohen Deckkraft
nicht für eine Arbeit in lasierenden Schichten.


Ölfarbe aber, die als Bindemittel z.B. Leinöl verwendet, bindet
wesentlich langsamer ab. Dieser Umstand sowie die Transparenz der
Farben ermöglichen es, Farbschichten so dünn übereinander
aufzutragen, dass tiefer liegende Farbschichten durch die Lagen
bis zur Oberfläche durchschimmern. So wurde es möglich,
schrittweise komplexe Farbtöne von großer Farb-, Licht- und
Schattentiefe aufzubauen. Das so entstehende Spiel mit Hell und
Dunkel wurde schnell als die geeignete Technik zur Modellierung
von Plastizität erkannt und hat maßgeblich dazu beigetragen, die
Lebendigkeit und den Naturalismusgrad von Gemälden zu steigern.
Nicht nur die äußere Erscheinung von Objekten und Figuren,
sondern auch ihre innere Struktur und Volumen wurden nun klar
herausgearbeitet und betont. So verschmelzen zum Beispiel in den
Portraits da Vincis oder Giorgiones die abgebildeten Figuren mit
der sie umgebenden Dunkelheit und treten zugleich deutlich aus
ihr hervor.


Künstler wie Tintoretto oder George de la Tour nutzen die neuen
Möglichkeiten aber auch für weitergehende Effekte und
inszenierten in ihren Gemälden scharfe, unnatürlich übersteigerte
Hell-Dunkel-Kontraste. Dazu organisieren sie ihre Kompositionen
gezielt um die Beleuchtungsquelle herum: der Einsatz und
Platzierung der Figuren auf bildnerischer Ebene und Verteilung
von Licht und Schatten sind untrennbar miteinander verknüpft,
orientieren sich aneinander. Der so entstehende, starke Kontrast
erzeugt die dramatischen Effekte des oft zur Theatralik neigenden
Barock und distanziert sich so von den rational-linearen
Kompositionen der Frührenaissance, in denen das Licht zumeist
gleichmäßig im Bild eingestreut wird.


Caravaggio - neben anderen - intensiviert das Spiel mit Licht und
Schatten hin zu einer als “Tenebrismus” (von ital. “tenebroso”,
finster) bezeichneten, die Bildspannung noch weiter steigernden
radikalen Spielart des Chiaroscuro. So soll der Eindruck der
Intimität dramatischer Begegnungen, das Gefühl eindringlicher
psychologischer Komplexität geschaffen werden, in denen die
Figuren oftmals aus einem tiefen Dunkel ins Licht treten. In
seinem Gemälde "Die Berufung des Matthäus" betont der in die
dramatische Szene fallende scharfe Lichtstrahl gezielt die
Hauptfigur. Der den Kopf des besiegten Goliaths haltende, in
weichen Tönen und mit sanften Farbübergängen gemalte David
erstrahlt einem hellen, von der linken Seite des Bildes auf ihn
fallenden Licht. So verschmelzen die im Schatten liegenden Teile
Davids sanft mit dem schwarzen Hintergrund. Im Kontrast dazu wird
Goliaths abgetrennter Kopf durch das unmittelbar auf ihn fallende
Licht in den Vordergrund geschoben, wo es die Schatten seines
Haares, seiner gefalteten Stirn und seiner versenkten Augen
betont.


Peter Paul Rubens verwendet in seinem Gemälde "Die
Kreuzaufrichtung" geschickt Licht und Schatten, um die
monumentale Darstellung des sich am Kreuz aufbäumenden Christus
hervorzuheben.


Andere Künstler wenden die Prinzipien der Hell-Dunkel-Malerei
subtiler und vorsichtiger an und nutzen das Chiaroscuro, um eine
eher ruhige, nachdenkliche Stimmung zu erzeugen. Rembrandt van
Rijn beispielsweise untersucht in seinem Selbstporträt
erforschend und feinfühlig die Beziehung zwischen Licht und
Schatten. Der Großteil seines Gesichts liegt hier im Dunklen, nur
eine Seite ist einem sanften, diffus wirkenden Licht zugewandt.
Darüber hinaus ist der Hintergrund statt in einem tiefen
Schwarzton in Mitteltönen angelegt. In "Die Nachtwache" setzt der
Maler das Licht gezielt ein, um die Aufmerksamkeit auf die
zentralen Figuren der Komposition zu lenken und die dramatische
Atmosphäre der Szene zu erzeugen.


Obgleich die Technik des Chiaroscuro im Barock ihren Höhepunkt
findet, so nutzen auch Künstler in der Romantik und später im
Realismus und Impressionismus ihre emotionale Wucht. Chiaroscuro
wurde in der Folge in sich entwickelnden Formen der Kunst wie der
Fotografie und im Film genutzt und  in unterschiedlicher
Weise adaptiert. So hat es nicht nur die Malerei, sondern auch
andere Kunstformen nachhaltig geprägt.

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