Schulwegoptimierung

Schulwegoptimierung

Modellansatz 101
36 Minuten
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Beschreibung

vor 7 Jahren

Sven Müller ist Professor für Verkehrsbetriebswirtschaft im
Studiengang Verkehrssystemmanagement an der HTW hier in
Karlsruhe.


Im Rahmen seiner Promotion an der TU Dresden in der Gruppe von
Knut Haase begann er der Frage nachzugehen, welche Faktoren die
Verkehrsmittelwahl für den Schulweg beeinflussen. Hintergrund
dieser Frage war, dass zu der Zeit in Dresden die Schließung von
Schulstandorten heiß diskutiert wurde. Die Notwendigkeit von
Schulschließungen war dabei nicht umstritten, jedoch welche
konkrete Variante die für alle beste Lösung darstellen würde.
Hier war die Diskussion emotional stark aufgeladen, d.h. ein
Modell, das bei der Planung des Schulnetzes für objektive
Informationen sorgt, wäre ganz besonders hilfreich. Am besten mit
klaren Empfehlungen für optimale Lösungen in Bezug auf Schulwege
und deren Kosten.


Der naheliegende und auch herkömmliche Indikator für so ein
Modell ist eine Distanzminimierung. Dadurch lassen sich objektive
Aussagen zu minimalen Transportkosten für die Schüler ermitteln.
Jedoch stellte sich schnell heraus, dass verlässliche Aussagen
dazu fehlten, welche Verkehrsmittel die Schüler anteilig wählen
und wieso. Ebenso welche Schulen die Schüler selbst wählen würden
und wieso. Deshalb war ein wichtiger Ausgangspunkt für das
Forschungsthema eine sehr groß angelegte Schüler-Befragung, die
von den Studierenden im Rahmen eines Seminares geplant und
durchgeführt wurde. Durch das große Engagement war die Stichprobe
schließlich sehr groß. Es wurden dabei Fragebögen in fast allen
Schulen verteilt und die Ergebnisse in einer selbst konzipierten
Datenbank gesammelt - gut aufbereitet für eine anschließende
Auswertung und Optimierung.


So war es möglich, aus diesen Daten Prognosen zur
Verkehrsmittelwahl in Abhängigkeit von Distanz und
Verkehrsmitteloptionen zu erstellen und über verschiedene
Schließungsszenarien eine optimale Verteilung der Schulen (in
Bezug auf Kosten für die Stadt) zu ermitteln.


All das floß auch in die Promotion von Sven Müller ein. Als
wichtiges Problem für die mathematische Behandlung der
Optimierung erwies sich, dass die Optimierungslösung auf die
Daten zurückwirkt. Das führt auf ein dynamisches Problem, das mit
herkömmlichen Methoden nicht behandelt werden kann. Auch bei der
ÖPNV-Planung von optimierten Liniennetzen tritt das Problem auf:
Kürzere Reisezeiten und mehr Direktverbindungen führen z.B. zu
einem höheren Fahrgastaufkommen. Mathematisch ausgedrückt heißt
das die Nebenbedingungen werden dynamisch und das Problem wird in
der Regel nichtlinear. Betriebliche Problemstellungen haben oft
ein ähnliches Problem, d.h. die Daten bleiben nicht fix sondern
sind abhängig von der gefundenen Lösung.


Ein wichtiges Teilergebnis des Forschungsvorhabens von Sven
Müller ist eine exakte lineare Reformulierung für das
ursprünglich nicht-lineare Optimierungsmodell.


Ein weiteres grundsätzliches Problem ist, dass die Nutzenfunktion
hinreichend genau beobachtet werden müsste. Ideal wäre es, wenn
nur noch weißes Rauschen im Störterm berücksichtigt werden muss,
d.h. alle zufälligen Anteile sind wirklich nur zufällig und
unverbunden mit den beobachteten Daten. Das ist in der Realität
leider nicht möglich und so führen nicht beobachtete Anteile zu
Kovarianzen im Modell, die nicht null sind. Anders ausgedrückt,
ist der stochastische Anteil nicht nur weißes Rauschen.


Nebenbei gewann er noch einige andere Erkenntnisse. Z.B. ist es
für die Prognose der Fahrradnutzung nicht ausreichend, die
Distanz als Maß zu nehmen, da es bergauf- bzw. bergab gehen kann
und das für die Entscheidung mindestens ebenso wichtig ist wie
die Entfernung. Dieser Frage geht er zur Zeit auch mit seinen
Studierenden im Studiengang Verkehrssystemmanagement an der HTW
nach.


Zwei weitere Themen, an denen Sven Müller zur Zeit arbeitet, weil
sich gute Anknüpfungspunkte aus den eben geschilderten neuen
Optimierungsstrategien bieten, sind z.B. die Versorgungsplanung
in der Medizin und die Planung der Pilgerströme in Mekka.

Genauer gesagt geht es bei der Versorgungsplanung um
Vorsorgeprogramme (Prävention). Durch eine hohe Attraktivität des
Angebots soll erreicht werden, das möglichst viele Patienten
freiwillig teilnehmen. Auch hier ist die gute Erreichbarkeit der
Ärzte wichtig, aber auch ihre Attraktivität. Es gilt abzuwägen,
wie viele Ärzte an dem Präventionsprogramm mit welcher Kapazität
teilnehmen sollen. Einerseits aus Kostengründen natürlich
möglichst wenige. Aber andererseits ist gerade die kurze
Wartezeit auf einen Termin ein Garant dafür, dass der Termin auch
wahrgenommen wird. Somit führt die Optimierung wieder auf ein
dynamisches Problem. Viele Standorte führen zu kurzen Wegen und
weniger "no shows". Aber viele Untersuchungen bei einem Arzt
stärken seine Kompetenz - verlängern aber die zu erwartende
Wartezeit. Leider führt das außerdem auf ein nicht konvexes
Optimierungsproblem, d.h. die Existenz von Optima folgt nicht mit
traditionellen Methoden (bei denen ist Konvexität eine zentrale
Voraussetzung).


In Mekka sind während einer reicht kurzen Zeit etwa 2-5 Millionen
Pilger unterwegs, um Rituale durchzuführen wie die Umkreisung der
Kaaba und die symbolische Steinigung des Teufels an drei Säulen.
Um das Risiko von Zwischenfällen, bei denen in der Vergangenheit
schon hunderte von Todesopfern zu beklagen waren, zu senken, wird
das Verhalten der Pilger modelliert in Bezug auf Geschwindigkeit
und Dichte. Anschließend werden rund 2 Millionen Pilger, Routen
zugewiesen, die so berechnet sind, dass alle Routen möglichst
kreuzungsfrei sind. Weiterhin erhalten die Pilger fest
zugewiesene Steinigungszeiten, so dass die erwarteten Dichten
möglichst unkritisch sind. Der Einfluss von bestimmten Fehlern,
wie z.B. falsch gesetzte Zäune oder falsch interpretierte
Anweisungen kann dabei nicht völlig ausgeschlossen werden und
wird als Risikofaktor in der Auslastung der Routen
berücksichtigt.


Die Studierenden im Studiengang Verkehrssystemmanagement an der
Hochschule Karlsruhe - Wirtschaft und Technik sind hier an
forderster Forschungsfront dabei. Z.B. mit Experimenten zu
Fußgänger-Verhalten. Denn auch hier ist eine gute Datenlage der
Schlüssel zum Erfolg.

Literatur und weiterführende Informationen

S. Müller e.a.: Travel-to-school mode choice modelling and
patterns of school choice in urban areas, Journal of Transport
Geography 16 (2008) 342–357

S. Müller: Bildungsstandorte und demographischer Wandel,
STANDORT 34 (2010) 6–10

S. Müller e.a: Exposing Unobserved Spatial Similarity:
Evidence from German School Choice Data, Geographical Analysis 44
(2012) 65–86

K. Haase, S. Müller: Management of school locations allowing
for free school choice, Omega 41 (2013) 847–855

K. Haase, S. Müller: Insights into clients’ choice in
preventive health care facility location planning , OR Spectrum
37 (2015) 273-291

K. Haase e.a.: Improving Pilgrim Safety During the Hajj: An
Analytical and Operational Research Approach Interfaces 46 (2016)
74-90

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