Quantenchaos

Quantenchaos

Modellansatz 079
31 Minuten
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Beschreibung

vor 8 Jahren

Diesmal traf sich Gudrun zum Gespräch mit Anke Pohl, die zur Zeit
am Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn arbeitet. Das Thema
der Unterhaltung ist Mathematisches Quantenchaos. Anke Pohl
untersucht nämlich, welchen Zusammenhang die geometrischen und
spektralen Eigenschaften Riemannscher Mannigfaltigkeiten haben.


Historisch ist das Interesse an diesen Eigenschaften und ihren
Wechselwirkungen bei physikalischen Betrachtungen entstanden, wie
z.B. bei den Studien der Schwingungen einer Membran. Im Jahre
1910 vermuteten Lorentz und Sommerfeld, dass der Flächeninhalt
einer Membran (die ein Beispiel für eine Riemannsche
Mannigfaltigkeit ist) durch die (Ober-)töne dieser Membran (die
durch die Eigenwerte eines gewissen Operators bestimmt sind, der
die Schwingungen der Membran beschreibt) bestimmt sind. Bereits
kurze Zeit später gelang es Hermann Weyl, diese Vermutung
mathematisch zu beweisen. Im Laufe der Zeit ist die Untersuchung
solcher Zusammenhänge zu einem Teilgebiet der Mathematik und
Mathematischen Physik angewachsen, welches sowohl hinsichtlich
Motivation als auch in Bezug auf Methoden eng mit diversen
anderen Teilgebieten der Mathematik, wie z.B. der Geometrie, der
Zahlentheorie und der Analysis, zusammenhängt. Und auch heute
noch liefern physikalische Erkenntnisse und Intuitionen gute
Heuristiken bzw. sind wegweisend für mathematische Ansätze.


Aktuelle große Vermutungen mit sowohl mathematischer als auch
physikalischer Motivation sind beispielsweise die Rudnick-Sarnak
Vermutung über eindeutige Quantenergodizität auf gewissen
kompakten Riemannschen Mannigfaltigkeiten (Gleichverteilung von
Eigenfunktionen im Mittel bei wachsendem Eigenwert; für den
Beweis von eindeutiger arithmetischer Quantenergodizität wurde E.
Lindenstrauss 2010 eine Fieldsmedaille verliehen), die
Phillips-Sarnak Vermutung über die (Nicht-)Existenz von
quadrat-integrierbaren Eigenfunktionen auf gewissen
nicht-arithmetischen Mannigfaltigkeiten, die Sarnaksche Vermutung
über das Größenwachstum von Eigenfunktionen bei wachsendem
Eigenwert, oder die Sjöstrandsche Vermutung über die
asymptotische Anzahl von Resonanzen in Streifen bei
hyperbolischen Flächen unendlichen Inhalts. Details und
weiterführende Informationen zu diesen und anderen Vermutungen
sind beispielsweise in den Übersichtsartikel in den
untenstehenden Referenzen enthalten.


Anke Pohls befasst sich zur Zeit mit bestimmten Flüssen, den
sogenannten geodätischen Flüssen, auf einer speziellen Klasse von
Riemannschen Mannigfaltigkeiten.


Als erste, recht elementare, Beispiele für Mannigfaltigkeiten
kann man sich zunächst Oberflächen vorstellen. Wenn man auf ihnen
Größen definiert hat, die zum Messen von Abständen und Winkel
dienen, werden sie Riemannsche Mannigfaltigkeit genannt. Wie bei
den oben genannten Membranen sind Geodäten.


Mathematisch werden die Schwingungen als Lösungen des
Laplaceoperators in der zugrundeliegenden Geometrie beschrieben
bzw. mit Hilfe der Eigenwerte und Eigenfunktionen des Operators.
Aus der Anschauung ist klar, dass die Schwingungen von den
geometrischen Eigenschaften der Fläche abhängen. Wenn z.B. die
Fläche oder Membran eingerissen ist oder ein Loch hat, klingt sie
anders als wenn sie geschlossen ist bzw. gut eingespannt ist. Für
kompakte Flächen ist bekannt, dass es unendlich viele solcher
Eigenfunktionen gibt. Je nach Grad der Offenheit (also z.B. eine
Fläche mit Riss oder Loch) ist es jedoch schwierig zu sagen, wie
sich die Schar der Lösungen verändert. Ein interessantes Beispiel
wäre z.B. zu betrachten, dass an einer Stelle die eingespannte
Fläche im Unendlichen verankert ist, aber das darunterliegende
Volumen endlich ist. Vorstellen kann man sich das etwa so, dass
man an dieser Stelle die Fläche samt ihren Abständen unendlich
weit zieht. Man fragt sich dann, ob eine Welle auf der Fläche
auch diese Singularität überlebt.


Ein methodischer Ansatz, solche und andere Fragen zu studieren,
ist es, Beziehungen zu anderen Objekten, vor allem rein
geometrischen, zu finden. Selbergs Beweis zur Unendlichkeit der
Anzahl der Eigenfunktionen auf gewissen hyperbolischen Flächen
zeigt zunächst, dass die Eigenwerte der Eigenfunktionen
(spektrale Objekte) durch die Längen der geschlossenen Geodäten
(geometrische Objekte) bestimmt sind. Genauer, sie sind unter den
Nullstellen einer generierenden Zetafunktion für das
Längenspektrum der Geodäten. Ausnutzung zusätzlicher
Eigenschaften der Flächen, wie z.B. Kompaktheit oder zusätzliche
Symmetrien, erlaubt dann (manchmal) zu bestimmen, ob Nullstellen
existieren und ob sie von Eigenwerten stammen.


Anke Pohl schaut sich die Geodäten auf bestimmten hyperbolischen
Flächen an, diskretisiert sie und findet ein assoziiertes
diskretes dynamisches System auf dem reellen Zahlenstrahl. Für
dieses diskrete System sucht sie gewisse invariante Größen, z. B.
invariante Maße oder Dichten. Genauer fragt sie nach
Eigenfunktionen des assoziierten Transferoperators mit gewissen
Parametern (inversen Temperaturen). An dieser Stelle sieht man
wieder einen Einfluss aus der Physik: Transferoperatoren
entstammen dem thermodynamischen Formalismus der statistischen
Mechanik. Sie zeigt dann, dass die Eigenfunktionen dieser
Transferoperatoren bijektiv zu den L_2 Eigenfunktionen des
Laplaceoperators der hyperbolischen Flächen sind. Da die
Eigenfunktionen der Transferoperatoren alleine durch die
geschlossenen Geodäten bestimmt sind und somit also geometrische
Objekte der Fläche sind, stellt auch sie eine Beziehung zwischen
gewissen geometrischen und gewissen spektralen Objekten dieser
Flächen her.


Zum Abschluss noch eine kurze Erklärung zur Bezeichnung
"Quantenchaos" für dieses Themengebiet: Der Laplaceoperator ist
gerade, bis auf Skalierung, der Schrödingeroperator in der
Physik. Quantenmechanisch werden seine L_2 Eigenfunktionen als
gebundene Zustände verstanden. Das zugehörige Objekt in der
klassischen Mechanik ist gerade das Hamiltonsche Vektorfeld des
geodätischen Flusses, d. h. die Bildungsvorschrift für die
Geodäten oder die Bewegungsvorschrift für Kugeln auf der Fläche.
Das Korrespondenzprinzip der Physik besagt nun, dass im Grenzfall
(hier: Eigenwerte der Eigenfunktionen gehen gegen unendlich) die
Gesetze der Quantenmechanik in die der klassischen Mechanik
übergehen sollten. Hier fragt man also gerade danach, wie die
spektralen und die geometrischen Eigenschaften Riemannscher
Mannigfaltigen wechselwirken. Daraus ergibt sich der Bestandteil
"Quanten" in "Quantenchaos".


Der Bestandteil "Chaos" ist wie folgt motiviert: Bei den in
diesem Gebiet studierten Flüssen verhalten sich Bahnen, die sehr
nah beieinander starten, typischerweise nach recht kurzer Zeit
sehr unterschiedlich. Mit anderen Worten, kleine Änderungen in
den Anfangsbedingungen wirken sich typischerweise sehr stark aus,
d.h., das System ist in gewisser Weise chaotisch.


Frau Pohl hat Mathematik an der TU Clausthal studiert, an der
Universität Paderborn promoviert und habilitiert gerade an der
Universität Göttingen.
Literatur und Zusatzinformationen

William P. Thurston: The Geometry and Topology of
Three-Manifolds, Mathematical Sciences Research Institute, 2002.

A. Pohl: Symbolic dynamics for the geodesic flow on locally
symmetric good orbifolds of rank one, Dissertation Uni Paderborn,
2009.

A.Pohl: A dynamical approach to Maass cusp forms, arXiv
preprint arXiv:1208.6178, 2012.

M. Möller und A. Pohl: Period functions for Hecke triangle
groups, and the Selberg zeta function as a Fredholm determinant,
Ergodic Theory and Dynamical Systems 33.01: 247-283, 2013.

P. Sarnak: Recent progress on the quantum unique ergodicity
conjecture, Bull. Amer. Math. Soc 48: 211-228, 2012.

S. Zelditch: Recent developments in mathematical quantum
chaos, Current developments in mathematics 2009: 115-204, 2010.

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