Identifizierung und funktionelle Charakterisierung von Geschmacksrezeptoren in Spermien

Identifizierung und funktionelle Charakterisierung von Geschmacksrezeptoren in Spermien

Beschreibung

vor 10 Jahren
Ein bislang nur wenig verstandenes chemo¬sensorisches Zellsystem
stellen Spermien dar, die im weib¬lichen Genital¬trakt komplexe
Gemische ganz verschiedener Liganden wahr-nehmen müssen, um ihre
für eine erfolgreiche Befruchtung essentiellen Aufgaben erfüllen zu
können. Dazu gehören u. a. ein sekundärer Reifungsprozess
(Kapazitierung), die Weg¬findung zur Eizelle im Eileiter und die
Akrosom¬reaktion zur enzymatischen Auflösung der
Glyko¬protein¬matrix (Zona pellucida) der Oocyte. Die
Sensor¬moleküle auf der Oberfläche des Spermiums, die eine
Erkennung bestehender Konzentrations-gradienten von Amino¬säuren,
Kohlen¬hydraten, Hormonen, von verschiedensten Ionen und Protonen
im luminalen Milieu des weiblichen Genital¬trakts sowie der
Kohlenhydrat-reichen Zona pellucida ermöglichen, sind jedoch trotz
ihrer Bedeutung für eine erfolgreiche Fertilisation weitgehend
unbekannt. Geschmacks¬rezeptoren repräsentieren spezialisierte
Erkennungs¬moleküle, die in Sinnes-zellen der Zunge die präzise
Detektion eines breiten Spektrums chemisch sehr diverser
Geschmacks¬stoffe ermöglichen, welche auffällige Ähnlichkeiten mit
den potentiellen Liganden in der wässrigen Umgebung von Spermien im
weiblichen Genital¬trakt aufweisen. Interessanterweise werden diese
Rezeptorproteine aber nicht nur in Geschmacks¬sinneszellen, sondern
auch in chemosensorischen Zellen einer Vielzahl extra-oraler Gewebe
exprimiert. In der vorliegenden Arbeit wurde deshalb mit Hilfe
biochemischer, molekular- und zell-biologischer Techniken sowie mit
reproduktions¬biologischen Methoden und unter Verwendung
Geschmacks¬rezeptor-defizienter Mäuse der Frage nachgegangen, ob
Rezeptor¬moleküle des Geschmacks¬systems als Kandidaten für
chemische Sensor-moleküle von Spermien in Betracht kommen. Dabei
wurde ein Detektions¬molekül für saure Geschmacksstoffe, der
PKD2L1, immun-cyto¬chemisch im Hoden der Maus und in reifen murinen
Spermien nach¬gewiesen. Funktionell könnte dieser im Flagellum von
Spermien exprimierte Ionenkanal an der Registrierung der
verschiedenen Protonen¬konzentrationen im Milieu des weib¬lichen
Genital¬trakts beteiligt sein. Weiterhin konnte eine Expression von
gustatorischen GPCRs der Tas1r-Familie (süß/umami) und
Tas2r-Familie (bitter), in männ¬lichen Reproduktions¬organen und in
reifen Spermien gezeigt werden. Zudem wurden Hinweise auf die
Expression der gustatorischen G Protein α Untereinheit Gustducin,
die in Geschmacks¬sinnes¬zellen an der Signal¬transduktion dieser
beiden Rezeptor¬familien beteiligt ist, im männlichen
Reproduktions¬system erbracht. Im Einzelnen konnten mit der
RT-PCR-Technik Transkripte von 28 der insgesamt 35 Mitglieder der
großen Familie der murinen Bitter¬rezeptoren (Tas2rs) aus
Hoden-gewebe amplifiziert werden. Die Bedeutung der Expression von
Bitter¬rezeptoren für die Reproduktion wurde exemplarisch anhand
einer Gen-defizienten Maus für den Tas2r131 unter¬sucht. Bei dieser
Knockin-Maus¬linie war die kodierende Rezeptor¬sequenz durch eine
GFP-Expressions¬kassette ersetzt worden, so dass das Maus¬modell
gleich-zeitig auch eine Bestätigung der Expression des Tas2r131 in
späten Keim¬zell¬stadien der Spermato¬genese ermöglichte. Bei der
Fertilitätsanalyse Tas2r131-defizienter Tiere waren unter
Labor-Zucht¬bedingungen keine Veränderungen in der Anzahl der
Nach¬kommen pro Wurf oder der Zeitspanne zwischen den Würfen
feststellbar. Allerdings wiesen Tas2r131-defiziente Männ¬chen
signifikant mehr epididymale Spermien auf als Wildtyp-Tiere.
Darüber hinaus war bei Verpaarungs¬studien mit hetero¬zygoten
Männchen eine Genotyp-Verschiebung zugunsten des Tas2r131 [-]
Allels zu registrieren. Dieser Phänotyp könnte darauf hindeuten,
dass der Tas2r131 eine funktionelle Rolle bei Tas2r-abhängigen
Auswahlprozessen verschiedener Spermien¬populationen spielt, bei
denen sich z. B. durch eine Regulation der Apoptose im Verlauf der
Keimzell¬bildung (Spermatogenese) oder auch durch eine
Beeinflussung z. B. der Weg¬findung im weiblichen Genitaltrakt ein
Selektions¬vorteil für Tas2r131-defiziente Spermien ergeben könnte.
Aus der Familie der Tas1-Rezeptoren, deren drei Mitglieder als
Heterodimere für die Erkennung von süßen Stimuli und dem Geschmack
von Mononatrium¬glutamat („umami“) verant¬wort¬lich sind, konnten
in RT-PCR-Experimenten die beiden Unter-einheiten des
Umami-Rezeptors, der Tas1r1 und Tas1r3, aus Hodengewebe der Maus
amplifiziert werden. Mit Hilfe Subtyp- und Spezies-spezifischer
Antikörper konnte gezeigt werden, dass beide Rezeptor¬proteine im
Akrosom und in distinkten Abschnitten des Flagellums von murinen
und humanen Spermien exprimiert werden. Die funktionelle Rolle des
Umami-Rezeptors wurde mit Hilfe einer Tas1r1-defizienten mCherry
Reportermauslinie unter¬sucht, die unter optimalen Zuchtbedingungen
ebenfalls keine Fertilitäts¬einschränkungen erkennen ließ. Im Hoden
dieser Tas1r1-defizienten Tiere waren jedoch morpho¬logische
Veränderungen des Keim¬epithels und eine signifikant erhöhte
Apoptose¬rate zu registrieren, die allerdings keine verminderte
Anzahl reifer Spermien oder Störungen der Morphologie oder
Motilität dieser Zellen zur Folge hatte. Stimulierungsexperimente
mit isolierter Zona pellucida, dem physiologischen Auslöser der
Akrosomreaktion, haben zudem gezeigt, dass keine Ein¬schränkungen
bei Spermien Tas1r1-defizienter Tiere fest¬zustellen waren.
Allerdings wiesen Tas1r1-defiziente Spermien eine signifikant
höhere Rate an spontaner Akrosom¬reaktion auf, die in
unkapazitierten Zellen mit signifikant erhöhten basalen
Konzentrationen der second messenger cAMP und Ca2+ einherging.
Durch eine Reduzierung der intra¬zellulären Konzentrationen dieser
Botenstoffe, die elementare Aufgaben des Spermiums im Verlauf des
sequentiellen Prozesses der Fertilisation regulieren, könnten
Tas1-Rezeptoren somit durch eine basale Rezeptor-aktivität oder
durch eine Liganden-induzierte Rezeptor¬stimulation sicherstellen,
dass Spermien im weiblichen Genitaltrakt in einem Ruhezustand
erhalten werden, bevor sie in Kontakt mit der Eizelle kommen
können. Insgesamt kann dieser Nachweis einer funktionellen
Expression von Geschmacks-rezeptoren in Spermien zu einem besseren
Verständnis der Regulations¬mechanismen zentraler
Spermien¬funktionen beitragen und langfristig möglicherweise auch
repro-duktions¬medizinische Perspektiven zur gezielten positiven
bzw. negativen Manipulation von Spermien und damit zur Behandlung
männlicher Infertilität bzw. zur Entwicklung nicht-hormoneller
Verhütungsmittel für den Mann eröffnen.

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