Epidemiologie importierter Infektionskrankheiten bei Kindern und Jugendlichen

Epidemiologie importierter Infektionskrankheiten bei Kindern und Jugendlichen

Beschreibung

vor 10 Jahren
In den letzten Jahrzehnten haben sich Reisetätigkeit und Migration
zu wichtigen Faktoren für die Ausbreitung von Infektionskrankheiten
entwickelt. Allein im Jahr 2011 fanden über 980 Mio. internationale
Reisen statt, wobei etwa 50 Mio. Menschen aus industrialisierten
Ländern in die Tropen und Subtropen reisten. Ökologische und
sozioökonomische Veränderungen, bedingt durch eine wachsende
Weltbevölkerung und eine globalisierte Wirtschaft, und der
technische Fortschritt beim Transport werden diesen internationalen
Personenaustausch und damit die Ausbreitung von
Infektionskrankheiten weiter fördern. Um dieser Entwicklung
Rechnung zu tragen, wurde die Reisemedizin als eigene Fachrichtung
der Medizin mit dem Ziel etabliert, durch international gültige
Regelungen reiseassoziierte Infektionskrankheiten zu bekämpfen.
Doch vor allem die epidemiologischen Gesundheitsdaten bezüglich der
importierten Infektionskrankheiten bei Kindern und Jugendlichen
sind limitiert, was insofern ein Problem ist, weil Kinder und
Jugendliche bei Reisen häufig von einem anderen Erregerspektrum als
Erwachsene betroffen sind und einen im Vergleich zu Erwachsenen
unterschiedlichen Krankheitsverlauf bei Infektionen zeigen.
Deswegen hat sich diese Dissertation das Ziel gesetzt, die
reisemedizinische Beratung von Kindern und Jugendlichen bzw. ihrer
Erziehungsberechtigten vor der Reise als auch die diagnostischen
Abläufe zum Erkennen der importierten Infektionskrankheit nach der
Reise auf eine evidenzbasiertere Grundlage zu stellen. Um
evidenzbasierte Empfehlungen zu geben, bedient sich diese
Dissertation Methoden der deskriptiven und der analytischen
Epidemiologie. Dazu wurden in der Abteilung für Infektions- und
Tropenmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München innerhalb
des Zeitraums von Januar 1999 bis Dezember 2009 Daten von 890
Reisenden im Alter von unter 20 Jahren, welche aus den Tropen oder
Subtropen zurückgekehrt waren, gesammelt und wichtige klinische
(z.B. Symptome) und diagnostische (z.B. Laborparameter) Variablen
(abhängige Variablen) bezüglich importierter Infektionskrankheiten
beschrieben, analysiert und interpretiert. Darauf aufbauend wurde
die Auswirkung von Risikofaktoren bzw. protektiven Faktoren
(unabhängige Variablen), welche sich in sozio-demographische Daten
(z.B. Geschlecht, Alter, Herkunft) und Reisedaten (z.B. Reiseziel,
Reisedauer, Reiseart) aufteilen, auf die abhängigen Variablen
analysiert. Diese Analyse ergab, dass von allen in dieser Studie
untersuchten Variablen Reiseziel und Patientenalter diejenigen
Variablen waren, die am stärksten mit dem Risiko korrelierten, an
einer für die Tropen und Subtropen typischen oder spezifischen
Infektionskrankheit zu erkranken. Bezüglich der Variable Alter
zeigte sich, dass Reisende älter als neun Jahre eine ähnliche
Verteilung der Krankheitshäufigkeiten wie Erwachsene aufweisen. Mit
zunehmendem Alter unternahmen Reisende häufiger Rucksackreisen und
infizierten sich öfter mit Mononukleose, was die wachsende
Bedeutung der Reise als Unterhaltung und Selbsterfahrung,
insbesondere bei Jugendlichen, unterstreicht. Im Gegensatz dazu
präsentierten Kinder unter zehn Jahren ein von den Erwachsenen
abweichendes Verteilungsmuster der Infektionskrankheiten. So hatten
sehr junge Reisende ein erhöhtes Risiko für Durchfall- und
Hauterkrankungen während der Reise. Deshalb sollten junge Reisende
oder ihre Erziehungsberechtigten vor Reiseantritt über die
Präventionsmaßnahmen und mögliche Laientherapie dieser beiden
Syndromgruppen aufgeklärt werden bzw. darüber, bei welcher
Symptomkonstellation ein Arztbesuch anzuraten ist. Zudem reisten
sehr junge Menschen länger und besuchten häufiger Freunde und
Familie. Die längere Reisedauer wiederum war verbunden mit einer
relativen Zunahme von spezifischen importierten
Infektionskrankheiten. Deswegen sollte bei Patienten, die sich
länger in tropischen und subtropischen Regionen aufgehalten haben
und nach anamnestischen und klinischen Kriterien einer spezifischen
Diagnostik und Therapie bedürfen, an diese Erreger gedacht werden.
Dagegen kann von einer derartigen spezifischen Diagnostik bei
Patienten mit kurzer Reisedauer abgesehen werden, da eine
Durchfallsymptomatik bei diesen meist durch akute
Durchfallerkrankungen bedingt ist, die nur einer symptomatischen
Therapie bedürfen. Aufgrund der begrenzten geografischen Verteilung
bestimmter Infektionserreger stellte die Variable Reiseziel einen
wichtigen Risikofaktor für das Auftreten von den durch diese
Erreger verursachten Erkrankungen dar. Dies verdinglicht noch
einmal die Notwendigkeit, Patienten im Beratungsgespräch vor
Reiseantritt auf das sie erwartende landesspezifische
Erregerspektrum vorzubereiten und die für ebendiese Erreger
geeigneten Präventionsmaßnahmen durchzuführen. Dies bedeutet, dass
bei Reisen nach Lateinamerika der Schwerpunkt auf Aufklärung über
und Prävention von Hautkrankheiten im Allgemeinen und Larva migrans
cutanea im Speziellen gelegt werden sollte. Dagegen sollte bei
Afrikareisenden auf Schistosomiasis und bei Asienreisenden auf
Campylobacteriose und Dengue-Fieber hingewiesen werden. Das höchste
relative Risiko, überhaupt zu erkranken, trugen junge Reisende, die
sich in Zentral-, West- und Ostafrika aufhielten, gefolgt von
Reisenden in Südamerika und Süd-/ Südostasien. Während bei Kindern
und Jugendlichen, die eine andere Herkunft als die deutsche hatten,
die Variable Herkunft signifikant mit bestimmten importierten
Infektionskrankheiten korrelierte, wurde bei den Reisenden
deutscher Herkunft, die als Reiseart Besuch bei Freunden und
Verwandten angaben, also mit hoher Wahrscheinlichkeit Kinder von
Immigranten aus tropischen und subtropischen Ländern sind, keine
derartige Korrelation gefunden. Dies legt nahe, dass die Diagnostik
und Therapie bei Reiserückkehrer mit Migrationshintergrund nur dann
von der von Menschen ohne Migrationshintergrund abweichen sollte,
wenn diese eine eigene Migrationserfahrung haben, nicht aber, wenn
sie in Deutschland geboren wurden. Das Spektrum der mit
Regelmäßigkeit erfassten Symptome bei der Studienpopulation war
relativ schmal. Jeweils über ein Fünftel der Patienten stellte sich
mit Diarrhö, Müdigkeit, Fieber und Hauterscheinungen vor und
insgesamt kamen nur sieben Symptome bei mehr als 10% der Patienten
vor; Durchfallerkrankungen, systemische Fiebererkrankungen und
Hauterkrankungen machten über 60% der 823 gestellten Diagnosen aus.
Dabei waren Durchfallerkrankungen sowohl bei dem Symptom Durchfall
als auch bei dem Symptom Fieber wichtigster Auslöser mit Giardia,
Campylobacter, und Salmonella als den am häufigsten identifizierten
speziellen Infektionserregern. Da Fieber vor allem bei sehr jungen
Menschen nicht vorwiegend durch eine als systemische
Fiebererkrankung klassifizierte Krankheit bedingt war, ist es umso
wichtiger, nicht von bestimmten Symptomen auf Krankheitsentitäten
zu schließen, sondern vor einer speziellen Diagnostik durch eine
ausführliche Anamnese und klinische Untersuchung weitere
Risikofaktoren zu erfassen, um die Krankheit so besser eingrenzen
zu können. Insgesamt ließen sich wenige spezifische ätiologische
Diagnosen stellen, so dass nur elf Infektionskrankheiten jeweils
bei mehr als 1% der Patienten nachzuweisen waren. Besonders gilt
dies für die Patienten mit Diarrhö, bei denen 40% mit einer
unspezifischen Gastroenteritis diagnostiziert wurden. Die Symptome
Fieber, Müdigkeit und Kopfschmerzen stellten für das
Patientenkollektiv offensichtlich eine stärkere Belastung dar als
andere Symptome, so dass sie schon nach einer signifikant kürzeren
Beschwerdedauer einen Arzt konsultierten. Um die Gültigkeit und
Anwendbarkeit der vorausgegangen Empfehlungen einschätzen zu
können, sollte man die folgenden Limitationen dieser Studie
beachten. Die untersuchte Studienpopulation ist wahrscheinlich
nicht repräsentativ für alle Reiserückkehrer nach Deutschland, die
die von dieser Studie gestellten Einschlusskriterien erfüllen.
Gleiches gilt für das Spektrum der Symptome und Erkrankungen, mit
denen sich diese Studienpopulation im AITM vorstellte. Es ist
anzunehmen, dass viele leichte und selbstlimitierende Verläufe von
importierten Infektionskrankheiten an anderen Institutionen
behandelt wurden. Ebenso unterrepräsentiert sind Erkrankungen mit
einer kurzen Inkubationszeit oder einer unspezifischen Symptomatik,
da die Assoziation mit Reise nicht erfolgt. Zwar ist es möglich,
aus den untersuchten Daten und Statistiken über Reiseaktivität das
relative Erkrankungsrisiko importierter Infektionskrankheiten
abzuschätzen, aber es ist nicht möglich, deren Inzidenz zu
berechnen. Durch die Einteilung von Krankheiten in Syndromgruppen
wurde versucht, eine Konsistenz und Vergleichbarkeit mit
vorausgegangenen Studien herzustellen. Gleichzeitig führt dieses
Vorgehen aber auch zu einer artifiziellen Homogenisierung, die zu
falschen Schlussfolgerungen für spezifische Krankheiten innerhalb
dieser Syndromgruppen führen kann. Entsprechendes gilt für alle in
dieser Studie verwendeten Variablen, die, um eine für die
statistische Auswertung genügend große Patientenanzahl zu erhalten
oder um der Vergleichbarkeit halber Referenzwerte einzuhalten,
skaliert werden mussten. Dies ist bei nominalskalierten Variablen
(z.B. Geschlecht) problemlos möglich, führt aber bei
kardinalskalierten Variablen (z.B. Alter) durch das Setzen
bestimmter Grenzwerte (z.B. Altersgruppe 0-4 Jahre) automatisch zu
Ungenauigkeiten und Verschleierung von Korrelationen (z.B. zwischen
Altersgrupe 3-7 Jahre und einer anderen Variablen). Zudem bedingt
der Versuch, die Störfaktoren durch Einschlusskriterien gering zu
halten, gleichzeitig, dass Personengruppe, für welche die
Ergebnisse anwendbar sind, schrumpft. Die geschilderten Probleme
betreffen nicht nur diese Dissertation sondern alle in dieser
Studie zitierten Publikationen, die sich mit einem ähnlichen Thema
beschäftigt haben. Dies liegt daran, dass einerseits Daten über
erkrankte Reiserückkehrer nicht zentral nach einheitlichen
Kriterien gesammelt werden, sondern in den unterschiedlichen
Institutionen eigenständige Prozeduren zur Datensammlung
stattfinden und dass andererseits die Übermittlung dieser Daten an
ein zentrales Institut nicht von allen erkrankten Reiserückkehrern
erfolgt. Um in der Lage zu sein, standardisierte evidenzbasierte
Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie zu geben, muss zuerst
die Datenakquirierung und Datenanalyse standardisiert werden.

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