Podcaster
Episoden
07.11.2025
59 Minuten
In dieser Folge haben wir die erfolgreiche und vielfach
ausgezeichnete Autorin Tanja Kinkel zu Gast. Schon als Kind
wusste, sie, dass sie Schriftstellerin werden wollte, und mit
Anfang zwanzig schrieb sie mit dem Renaissance-Roman Die
Puppenspieler ihren ersten Bestseller. Den historischen Stoffen
blieb sie über die Jahre hinweg treu, legte sich jedoch nie auf
eine bestimmte Epoche fest. Der 2025 erschienene Roman Im
Wind der Freiheit erzählt von den Revolutionsjahren 1848/49
im Deutschen Bund aus Sicht der Frauen.
Das Gespräch mit Tanja Kinkel war für uns eine große Ehre und ein
ganz besonderes Vergnügen. Sie hat uns viele Fragen zu ihrer
Tätigkeit als Romanautorin beantwortet, aber wir sprechen auch
über die historischen Frauen aus Im Wind der Freiheit. Freut euch
auf eine Stunde mit Tanja Kinkel und den inspirierenden Frauen
aus der Revolution von 1848/49: Louise Otto, Amalie
Struve und Clotilde Koch-Gontard, außerdem streifen wir
das Leben von Mathilde Franziska Anneke, über
die ihr eine ganze Folge hier im Podcast findet.
Tanja Kinkel (Foto: privat)
Hier gehts zur Website von Tanja Kinkel
Der Roman
Wir erwähnen die Podcast-Folge über Mathilde Franziska
Anneke
Mathilde Franziska Anneke (1817–1884)
Artwork und Musik: Uwe Sittig
Frauenleben-Hosts: Susanne
Popp und Petra Hucke
Podcast-Website: Frauenleben-Podcast
Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/
Der Beitrag Tanja Kinkel und die Revolutionärinnen von 1848/49
erschien zuerst auf Frauenleben.
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17.10.2025
59 Minuten
Die Umweltaktivistin und Verhaltensforscherin ging mit 25 Jahren
allein in den tansanischen Urwald, um Schimpansen zu beobachten.
Ihre Erkenntnisse waren in den 1960ern bahnbrechend:
Menschenaffen wissen, wie man Werkzeuge herstellt und benutzt –
etwas, von dem man dachte, dass nur wir Menschen dazu in der Lage
sind.
***
Geboren wird Valerie Jane Morris-Goodall in London-Hampstead am
3. April 1934. Ihr Vater ist Autorennfahrer und
Motorsportfunktionär Mortimer Morris-Goodall (1907–2001), ihre
Mutter ist Margaret Myfanwe Joseph (1906–2000), die als Vanne
Morris-Goodall Bücher veröffentlicht. Ihre Eltern sind liebevoll
und unterstützend. Jane hat eine genau vier Jahre jüngere
Schwester namens Judy.
Verträumte Kindheit
Zum ersten Geburtstag bekommt Jane einen Plüschaffen namens
Jubilee geschenkt, der zur Feier des ersten im Londoner Zoo
geborenen Schimpansen auf den Markt gebracht wurde. Er war ihre
ganze Kindheit lang ihr treuer Begleiter.
Heute ist sie immer wieder mit Stofftieren unterwegs, vor allem
mit dem Schimpansen Mr. H (H für Hoffnung), um Dinge anschaulich
zu machen:
Cow benutze ich beim Thema Massentierhaltung. Insbesondere, um
Kindern zu erklären, wie Rinder Methan erzeugen … Ratty
setze ich ein, um zu erklären, wie intelligent Ratten sind – vor
allem, wie die Gambia-Riesenhamsterratte darauf trainiert wird,
Landminen zu finden. (Das Buch der Hoffnung, S. 200/201)
Sie zeigt schon früh Interesse an Tieren aller Art. Ihre
Lieblingsbücher sind Doktor Doolittle, das Dschungelbuch, Der
Wind in den Weiden und Tarzan. Die Familie kann sich weder
Fahrräder, geschweige denn ein Auto oder Urlaub leisten, aber sie
haben zu essen und ausreichend anzuziehen. Jane bezeichnet ihre
Kindheit als glücklich. Sie verbringt ihre Zeit am liebsten
draußen bei der Insektenforschung, auch wenn sie noch städtisch
wohnen.
Janes Vater möchte, dass seine Töchter Französisch lernen, doch
kurz nachdem sie nach Frankreich ziehen, bricht der Zweite
Weltkrieg aus, und sie kehren zurück nach England. Sie finden ein
neues Zuhause an der Südküste, wo Janes Großmutter
mütterlicherseits auf dem Hof The Birches lebt. Dort ist Jane von
Verwandten, Natur und Freund:innen umgeben: „Wie ich die Freiheit
genoß!“ (Grund zur Hoffnung, S. 40)
Die Familie muss während des Krieges regelmäßig in einen
Luftschutzkeller fliehen, und auch Soldaten sieht Jane überall.
Dennoch kommt sie recht unbeschadet durch die Zeit. Als sie
danach jedoch die ersten Bilder aus den Konzentrationslagern
sieht, prägt sie das bis ans Ende ihres Lebens: Wie können
Menschen so etwas tun? Wie kann Gott so etwas tun?
Jane wird nicht besonders religiös erzogen, aber mit klaren
moralischen Werten. Sie ist ein philosophisches, nachdenkliches
Mädchen, das viel über Gott oder andere übernatürliche Mächte
nachdenkt. Im Laufe ihres Lebens verändert sich das hin zu einer
allgemeinen Verehrung der Natur, die durch jemanden oder etwas
erschaffen worden sein muss. Auch einige mystische Erlebnisse und
Erfahrungen prägen ihren Glauben.
Schule und Ausbildung
Im Jahr 1946 lassen sich ihre Eltern scheiden. Sie bleibt mit der
Mutter und der Schwester in The Birches, wo sie viel Zeit im
Garten auf ihrer geliebten Buche verbringt. Sie geht auf eine
Mädchenschule und fällt durch gute Leistung auf, hat jedoch oft
Migräne und möchte nicht hingehen.
Wegen des Geldmangels kann sie kein Studium aufnehmen, sondern
lässt sich in London zur Sekretärin ausbilden. Weil sie das nicht
ausfüllt, macht sie Abendkurse in Journalismus und Literatur.
Außerdem hilft sie in einer Physiotherapie-Praxis mit, in einem
Filmstudio und verdient ihr Geld als Kellnerin.
Traum von Afrika
Ihre ganze Kindheit träumt Jane von Afrika – und der wird
tatsächlich 1957 wahr, als eine alte Schulfreundin sie nach Kenia
einlädt: Ihre Eltern haben dort eine Farm gekauft.
Jane spart fünf Monate, bis sie das Geld für die Überfahrt
beisammen hat. Drei Wochen fährt sie mit dem Schiff, dann noch
zwei Tage im Zug, „einer neuen Welt entgegen“:
Ich glaube, es geschah da, beim Fahren über das Meer, ohne Land
zu sehen, daß ich mich unbewußt an Afrika band. Die Tage meiner
Kindheit und meiner jugendlichen Beschäftigung mit der
Philosophie und dem Sinn des Lebens, der Zeit und der Ewigkeit
waren zu Ende gegangen.“ (Grund zur Hoffnung, S. 68)
Fasziniert ist Jane von der Natur und den Tieren – alles ist noch
viel schöner als erwartet. Aber auch Afrika ist kein Paradies:
Wie in Europa erinnern sich auch hier viele an Gräueltaten, wie
sie zum Beispiel während der erst kürzlich beendeten
Mau-Mau-Kriege geschahen.
Privatsekretärin von Louis Leakey
Jane möchte nicht nur als Gast in Kenia bleiben, sondern
arbeiten. Über Bekannte wird sie im heutigen Nairobi National
Museum vorstellig, wo der Direktor und Paläoanthropologe Louis
Leakey (1903–1972) sie als Privatsekretärin anstellt. Er diktiert
ihr sein später so renommiertes Buch über die Kikuyu, unter denen
er aufgewachsen ist.
Louis war in seinem Denken den meisten seiner Zeitgenossen weit
voraus, und seine Einstellung scheint heute noch lohnender in
Anbetracht der überraschenden Entdeckung, dass … die menschliche
DNS sich von der der Schimpansen nur in etwas mehr als einem
Prozent unterscheidet. (Ein Herz für Schimpansen, S. 271)
Jane fährt mit ihm und seiner Frau Mary Leakey in die
Olduvaischlucht, um eine Saison lang an ihren Ausgrabungen
teilzunehmen, „umgeben vom Geheimnis der Evolution“ (Grund zur
Hoffnung, S. 80). Jahre später finden die Leakeys dort übrigens
den ersten Schädel des Australopithecus robustus.
Ein neuer Job
Louis Leakey ist es auch, der ihr einen Vorschlag unterbreitet:
Inzwischen wüsste man ja, sagt er, ziemlich genau, wie unsere
Vorfahr:innen ausgesehen, was sie gegessen haben, wie sie
gestorben sind. Was jedoch nicht versteinert und sich
dementsprechend auch nicht als Fossilien wiederfinden lässt, ist
das Verhalten der Frühmenschen. Seine Idee ist es, Menschenaffen
in der freien Wildbahn zu beobachten und daraus Schlüsse zu
ziehen.1
In Jane sieht er die perfekte Kandidatin für einen solchen Job:
Sie habe keine wissenschaftliche Ausbildung und könne somit
unbefangen denken. Sie liebe Tiere und habe unendliche Geduld.
Jane sagt zu.
Nach Gombe
Dass eine 25-jährige Britin allein in den Urwald zieht, damit
sind die Behörden allerdings nicht einverstanden. Eine weitere
weiße Person soll mitkommen. Und das wird Janes Mutter Vanne, die
aus England anreist und ihrer Tochter neugierig und wie
selbstverständlich in den Dschungel folgt.
Gombe ist heute ein Nationalpark und liegt ganz im Westen von
Tansania am 673 km langen Tanganjika-See. Im Norden schließen
Burundi und Ruanda an, im Westen liegt der heutige Kongo. In den
1960ern ist die Gegend eine Weile relativ ruhig. Erst in den
70ern wird es gefährlicher, und davon wird auch Jane betroffen
sein.
Zu ihrer Wohnstatt wird ein altes Militärzelt an einem bereits
bestehenden Wildhüterposten. Sie sind nicht vollends allein,
haben einen Schwarzen Koch und einen Schwarzen Wildhüter, teils
mit Familie. Janes Mutter Vanne entwickelt in den ersten fünf
Monaten eine kleine Klinik – „vier Pfähle und ein Rohrdach“ (Ein
Herz für Schimpansen, S. 13) – und erlangt schnell das Vertrauen
der Einheimischen.
Erste Kontakte
Jane beginnt mit ihrer Forschung. Sie hat durchaus Angst vor
wilden Tieren, aber gleichzeitig das Gefühl, sie werden ihr
nichts zuleide tun, weil sie ihnen auch nichts zuleide tun will.
Tatsächlich ist ihr nie etwas Ernsthaftes passiert. Nur die
Schimpansen machen ihr Sorgen: Sie flüchten immer, wenn sie sich
nähert. Erst nach sechs Wochen macht sie erste Fortschritte, erst
nach drei Monaten die ersten wichtigen Beobachtungen, und erst
nach einem ganzen Jahr kommt sie näher als 100 Meter an die
Gruppen heran. Erst dann folgen die berühmten Bilder, auf denen
sie barfuß und in Khakikleidung mit einem Notizbuch im Wald sitzt
und beobachtet, was die Tiere treiben.
Was sehen die Schimpansen wohl in diesem blonden, weißen Affen?
Jane ist sich sicher, dass sie sie genauso sehen wie die anderen
Tiere im Wald. Schimpansen haben zum Beispiel immer wieder
überwiegend friedlichen Kontakt mit Paviangruppen.
Wenn es unter den Tieren zu Aggressionen kommt, muss sie jedoch
aufpassen, den Frust junger Männchen nicht abzubekommen, die
tatsächlich gelegentlich versuchen, ihr auf dem Rücken
herumzutrampeln oder sie zu schlagen. Oft sind blaue Flecken die
Folge.
Genauso bringt sie ihnen aber später, als aus ihren einsamen
Beobachtungen eine ganze Forschungsstation geworden ist, ab und
zu Bananen mit, in denen sie zum Beispiel Antibiotika verstecken,
wenn ein Tier krank ist. Manchmal kommen die Schimpansen dann
auch auf die Menschen zu und suchen Hilfe:
[Eines der Weibchen] war sogar um Hilfe zu unseren tansanischen
Mitarbeitern gelaufen. Sie hatte sich vor ihnen aufgerichtet und
ihnen in die Augen gesehen, dann sich umgewandt zu Melissa, die
um das Leben ihres Kleinkindes kämpfte, dann wieder die Männer
angeschaut. Die hatten gewusst, dass sie ihre Hilfe wollte, und
sie hätten auch helfen wollen, aber der Kampf war zu schnell und
heftig gewesen. Sie hatten sich hilflos gefühlt und nichts
unternommen. (Ein Herz für Schimpansen, S. 223)
Bahnbrechende Erkenntnisse
Doch noch ist Jane allein im Wald und kann nach einer Weile
tatsächlich bahnbrechende Erkenntnisse melden:
Schimpansen fertigen und benutzen Werkzeuge. So nehmen sie zum
Beispiel Steine als Hammer und Amboss, um Nüsse zu knacken, oder
ziehen Blätter von Zweigen ab und benutzen diese dann, um
Termiten aus ihrem Hügel zu angeln. Als sie Leakey davon
berichtet, antwortet der: „Dann müssen wir jetzt entweder den
Menschen oder den Werkzeugbegriff neu definieren oder Schimpansen
als Menschen akzeptieren!“
Meine Beobachtungen in Gombe stellten die Einzigartigkeit des
Menschen in Frage, und wann immer das geschieht, gibt es einen
gewaltigen Aufschrei von seiten der Wissenschaft und der
Theologie. (Grund zur Hoffnung, S. 101)
Ihre Erkenntnisse sichern dennoch die Finanzierung für ein
weiteres Forschungsjahr.
Jane beobachtet zudem, dass Schimpansen Fleisch essen und
gemeinsam nach anderen Affenarten jagen. Sie attackieren auch
andere Schimpansengruppen und töten und essen gelegentlich auch
ein Baby aus der eigenen Gruppe.
Als die Gombe-Schimpansengruppe sich nach einer Weile in zwei
Gruppen aufsplittet und es vier Jahre lang Streit um das
Territorium gibt, sieht Jane darin eine Vorstufe eines
„Stammeskrieges“, wie er unter Menschen stattfinden könnte: Aus
Freund:innen oder gar Familie werden Fremde, und wie beim
Menschen führt diese Abgrenzung zu Aggressivität, bis hin zu
einer wahren „Entschimpansierung“.
[D]ie brutalen Morde, die unter den Schimpansen beobachtet
wurden, [veränderten] meine Ansicht vom Wesen der Schimpansen
nachhaltig. Während der ersten zehn Jahre meiner Forschung hatte
ich … angenommen, die Schimpansen von Gombe seien im allgemeinen
„besser“ als Menschen. Ich hatte gewußt, daß bisweilen
Aggressionen aufflammten, manchmal aus scheinbar nichtigem Grund;
Schimpansen sind von Natur aus aufbrausend … Und plötzlich fanden
wir heraus, daß unsere Schimpansen brutal sein konnten – daß sie
wie wir eine dunkle Wesensseite haben. (Grund zur Hoffnung, S.
160)
Reaktionen aus der Wissenschaft
Als sie davon nach draußen berichtet, hört sie aus der
Wissenschaft mehrfach, sie solle diesen Fakt herunterspielen,
„denn damit geben Sie verantwortungslosen Wissenschaftlern und
Journalisten die Daten an die Hand, mit deren Hilfe sie
’beweisen’ können, daß die menschliche Konfliktbereitschaft
angeboren, Krieg also unvermeidlich ist – eine unglückselige,
bedauerliche Erblast von unseren brutalen affenartigen
Vorfahren.“ (Grund zur Hoffnung, S. 162) Der Zweite Weltkrieg ist
noch stark im Gedächtnis der Menschen, und dementsprechend ist
ein solcher Gedanke verständlich.
Jane gibt jedoch nichts auf politische Beeinflussung der
Wissenschaft und schildert die Fakten. Ihr Kommentar, als ihr
jemand schreibt, es sei am besten, so etwas unter den Teppich zu
kehren: „Zu der Zeit beulten sich Ethologenteppiche geradezu von
all den Dingen, die darunter versteckt wurden.“ (Ein Herz für
Schimpansen, S. 25)
So wichtig ihr einerseits die Fakten auch sind, so „ungebührlich“
verhält sie sich in anderer Sicht. Damals ist es noch voll und
ganz unüblich, Tieren Gefühle oder eine Persönlichkeit
zuzuschreiben. Aber Jane gibt ihren Schimpansen sogar Namen. Sie
spricht von „Männern und Frauen“ statt „Männchen und Weibchen“
und nutzt den Begriff „Wohngebiet“ statt „Territorium“.
Jemand rät ihr zu Formulierungen wie „Ich glaube, dass …“ oder
„Wenn das Affenkind Fifi ein menschliches Kind wäre, würde ich
sagen, sie ist eifersüchtig“.
Wir, die Affen
Tatsächlich gibt es ja auch so viele Ähnlichkeiten zwischen den
Menschen und den Menschenaffen:
Ferner hatte ich gelernt, daß die Menschenaffen, wenn sie wütend
sind, eine ähnliche Haltung einnehmen und ähnlich gestikulieren
wie wir Menschen: Sie treten großspurig auf, werfen finstere
Blicke um sich, schlagen zu, teilen Boxhiebe aus, treten,
kratzen, reißen einander die Haare aus und jagen sich. Sie
schleudern Steine und Stöcke. Wenn sie Schußwaffen und Messer
hätten und wüßten, wie man damit umgeht, würden sie ohne Zweifel
ebenso davon Gebrauch machen. (Grund zur Hoffnung, S. 179)
Aber:
[O]bwohl die grundlegenden Aggressionsmuster der Schimpansen den
unseren so bemerkenswert ähnlich sind, ist ihr Verständnis für
das Leiden, das sie bei ihren Opfern verursachen, von unserem
sehr verschieden. Es stimmt natürlich, Schimpansen können sich
einfühlen, können zumindest bis zu einem gewissen Grad die
Wünsche und Bedürfnisse ihrer Gefährten nachempfinden. Aber nur
Menschen, glaube ich, sind zu absichtlicher Grausamkeit fähig –
können handeln mit dem Ziel, Schmerzen und Leiden zu verursachen.
… Nur wir sind zur Folter fähig. Nur wird sind zur Bosheit fähig.
(Ein Herz für Schimpansen, S. 149/283)
Genauso findet sich unter Schimpansen aber auch die gleiche
Fürsorge und Hilfsbereitschaft wie bei Menschen. Enger, häufiger
Körperkontakt in Form von Umarmen und „Groomen“ ist wichtig für
den sozialen Zusammenhalt. Schimpansen retten ihre Kinder, wenn
sie in Gefahr geraten, und sie trösten sich gegenseitig, wenn sie
Angst haben.
Erste Ehe und ein Sohn
Der niederländische Baron Hugo van Lawick kommt im Auftrag der
National Geographic Society nach Afrika und soll einen Film über
Janes Arbeit drehen. Der kommt dann 1965 als Miss Goodall and the
Wild Chimpanzees heraus.
Erst arbeiten Jane und Hugo eng zusammen und machen aus Janes
Wildhüterposten eine kleine, offizielle Forschungsstation. Sie
holen Student:innen aus England zur Hilfe, aber auch
Einheimische, mit denen Jane sich inzwischen auf Kisuaheli
unterhalten kann. Später haben sie bis zu zwanzig Mitarbeitende.
Die „schliefen in verschiedenen Miniports – kleinen
Aluminiumhütten, die in der Nähe des Lagers unter Bäumen
versteckt lagen“ (Ein Herz für Schimpansen, S. 39)
Jane und Hugo verlieben sich und feiern im März 1964 Hochzeit.
Drei Jahre später kommt Sohn Hugo (genannt „Grub“) auf die Welt.
Er wächst in Gombe und der Serengeti auf, bis Jane ihn mit neun
Jahren nach England zu ihrer Familie und ins Internat sendet.
Sie ist der Meinung, die Schimpansenbeobachtungen haben sie zur
besseren Mutter gemacht und das Muttersein zu einer besseren
Schimpansenbeobachterin.
Mir war ganz klargeworden, dass eine enge, liebevolle Beziehung
zur Mutter sehr wichtig für das spätere Wohlbefinden eines jungen
Schimpansen war. … Ich vermutete, dass das auch für Menschen
galt, und … Arbeiten … bestätigten das. Ich war fest
entschlossen, meinem eigenen Sohn den bestmöglichen Start zu
verschaffen. (Ein Herz für Schimpansen, S. 42)
Die Ehe mit Hugo hält nur bis 1974.
Wissenschaftliche Karriere
Obwohl Jane keinen Schulabschluss hat, der sie für ein Studium
qualifiziert, darf sie aufgrund ihrer Verdienste in der
Verhaltensforschung schließlich in Cambridge studieren und 1966
ihre Promotion in Ethologie machen. Das Thema ihrer
Abschlussarbeit: „Behaviour of free-living chimpanzees“.
Nun hat sie auch die offiziellen Papiere dafür, dass sie mehr ist
als das „Covergirl“ des National Geographic. Sie schreibt Bücher
und geht auf Vortragsreisen, die gut aufgenommen werden.
Im Jahr 1973 übernimmt sie eine Gasprofessur für Zoologie an der
Universität von Daressalam, ganz im Osten von Tansania und etwa
1200 km von Gombe entfernt. Von 1970 bis 1975 ist sie
Gastprofessorin für Psychiatrie und Humanbiologie in Stanford.
Die Entführung in Gombe
Im Jahr 1975 kommen vierzig bewaffnete Männer über den
Tanganjiki-See aus Zaire (heute: Kongo) nach Gombe. Sie schlagen
einen Mitarbeiter, damit er verrät, wo der Treibstofftank steht.
Zwei tansanische Studentinnen können im Dunkeln zu den Hütten der
anderen eilen, damit die sich im Wald verstecken. Aber drei junge
Amerikaner und eine Holländerin werden von den Rebellen entführt.
Man hört Schüsse über den See – sind sie tot?
Alle Nicht-Einheimischen müssen Gombe sofort verlassen. In
Daressalam geht nach einer Woche eine Lösegeldforderung ein, und
schließlich werden alle vier Student:innen freigelassen, aber die
Angst bleibt noch eine Weile. Zuerst kommt eine Spezialabteilung
der Polizei mit nach Gombe, dann bleibt die normale Polizei, bis
die Lage wieder als sicher genug angesehen wird.
Jane wird von verschiedenen Seiten vorgeworfen, sie hätte sich
anders verhalten und sich zum Beispiel selbst im Austausch für
die jungen Menschen als Geisel zur Verfügung stellen sollen. Doch
sie erfährt auch viel Rückhalt.
Sie ist froh, als wieder Ruhe in Gombe einkehrt. Während ihrer
Abwesenheit haben die einheimischen Angestellten die
Schimpansenbeobachtungen übernommen. Einige haben extra, um für
sie arbeiten zu können, Lesen und Schreiben gelernt. Anderen
stellt sie ein Tonbandgerät bereit.
Zweite Ehe, viel zu kurz
Jane lernt den Engländer Derek Bryceson (*1923?) kennen, der
halbseitig beingelähmt ist, nachdem sein Flugzeug im Krieg
abgeschossen wurde. Medizinisch gesehen, sagen die Ärzt:innen,
dürfe er gar nicht laufen können, aber mit reiner Willenskraft
habe er gelernt, am Stock zu gehen. Danach studierte er in
Cambridge Landwirtschaft und wurde Weizenfarmer in Kenia. In den
1950ern begegnete er zum ersten Mal Julius Nyerere, der sich für
die tansanische Unabhängigkeit stark machte. Derek Bryceson
schloss sich der Tanganyika African National Union an, bis 1961
die Unabhängigkeit erreicht wurde.
Derek wurde daraufhin Parlamentsabgeordneter und später Direktor
der Nationalparks von Tansania, wo er auch Gombe als Nationalpark
sichern konnte.
Nun verliebt er sich in Jane und macht ihr einen Antrag, nachdem
sie fast mit einem Flugzeug abstürzen und dann noch durch einen
von Krokodilen strotzenden Fluss waten müssen. Jane nimmt an.
Doch bereits 1979 wird bei Derek Darmkrebs festgestellt, und eine
Operation zeigt die Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Sie versuchen
es noch mit Alternativbehandlungen in Deutschland, aber nach zwei
Monaten spricht Derek seine letzten Worte: „Ich wußte nicht, dass
man solche Schmerzen haben kann.“ (Grund zur Hoffnung, S. 207)
Tod und Trauer
Eine Weile lang hat Jane das Gefühl, noch mit Derek in Kontakt zu
sein. Träume sind es nicht, aber eine andere Art der
Kommunikation. Zudem berichtet sie, wie ihr Sohn in England vom
Tod seines Stiefvaters träumt, genau in der Nacht, in der er
tatsächlich verstorben ist – obwohl Grub gar nicht wusste, wie
schlecht es Derek ging. Auch ein Mädchen mit Downsyndrom aus
Daressalam, mit dem die Familie befreundet ist, verkündet in der
derselben Nacht, sie habe von Dereks Tod geträumt. Solche
Erfahrungen erklären Janes Glaube an eine übernatürliche Kraft.
Nachdem sie Dereks Asche im Indischen Ozean verstreut hat, wo er
gern schwimmen gegangen ist, hat sie ein mystisches Erlebnis in
ihrem geliebten Urwald, wo sie meint, ihr Ich hinter sich zu
lassen und Eins mit der Natur zu werden.
Im Wald ist der Tod nicht verborgen … Er ist allezeit rundherum
da, ein teil des endlosen Kreislauf des Lebens … Dies alles gab
mir wieder eine Perspektive für mein Leben und damit auch
Frieden.“ (Grund zur Hoffnung, S. 217)
Das Jane Goodall Institute
Im Jahr 1976 gründet Jane gemeinsam mit der Primatologin
Genevieve di San Faustino das Jane Goodall Institute, zum Schutz
der bedrohten Schimpansen und für ein besseres Verständnis ihrer
Lebensweise. Dadurch ist ihre Forschungsstation in Gombe endlich
durchgängig finanziell gesichert. Sie stellen immer mehr
Einheimische ein, und Jane glaubt, ihre Aufgabe im Leben gefunden
zu haben.
Foto: Wikipedia
Konferenz in Chicago
Doch dann nimmt sie 1986 an einer Artenschutzkonferenz in Chicago
teil, in der viel darüber diskutiert wird, wie man Schimpansen
und so viele andere Tierarten vor dem Aussterben retten kann.
Bisher war ich der Auffassung gewesen, letztendlich nichts
Wirksames tun zu können. Ich besaß nicht die nötige akademische
Ausbildung, wie ich meinte, um gegen die Wissenschaftler
anzutreten, die in der medizinischen Forschung tätig waren. Und
warum, um alles in der Welt, sollten Politiker auf mich hören?
(Grund zur Hoffnung, S. 263)
Doch diese Einstellung ändert sich mit Chicago. Ab diesem
Zeitpunkt ist Jane als Umweltaktivistin unterwegs und reist noch
Jahrzehnte lang quer über den Globus, um andere von ihrer Mission
zu überzeugen.
Sie arbeitet mit Regierungen und Forschungsinstituten vor Ort
zusammen, denn sie weiß: Man muss immer auch das Leben der
Menschen verbessern, wenn man die Tiere schützen möchte. Denn
Wilderer verdienen ihr Geld mit den getöteten oder entführten
Affen. Die Einheimischen roden den Wald nicht aus Vergnügen,
sondern weil sie das Land für ihren Lebensunterhalt brauchen.
Botschafterin für die Tiere
Jane entwickelt ein Schutzprogramm für verwaiste
Schimpansenkinder. Sie gründet die Kinderorganisation Roots &
Shoots, das in zahllosen Ländern zahllose Gruppen für junge
Menschen hervorbringt, um sie zu ermutigen und sie auf ihre Macht
aufmerksam zu machen. Sie engagiert sich für das Great Ape
Project, das sich dafür einsetzt, dass die großen Menschenaffen
Rechte bekommen, die den Menschenrechten ähneln sollen. Sie wird
Mitglied bei den Ethologists for the Ethical Treatment of
Animals. Und immer wieder wirbt sie für Alternativen zu
Tierversuchen:
Um Produktsicherheit und -wirkung zu testen, werden Tiere wie
Ratten und Mäuse, Meerschweinchen, Katzen, Hunde und Affen mit
einer Vielzahl von Substanzen geimpft bzw. zwangsweise mit Pillen
oder Tropfen traktiert oder bekommen etwas in die Augen
geträufelt. Chirurgische Eingriffe werden von Studenten an
Versuchstieren geübt, ebenso wie neue Techniken an Tieren
ausprobiert werden. Um Verfahren zur Behandlung von Brandwunden
experimentell zu testen, werden Tieren großflächige Verbrennungen
ersten Grades beigebracht. Um die Auswirkungen des Rauchens, des
Drogenkonsums, des fettreichen Essens usw. auf das Herrentier
„Mensch“ zu untersuchen, werden wieder andere Arten von Tieren
gezwungen, Unmengen Rauch einzuatmen, werden ihnen zwangsweise
Drogen verabreicht und müssen sie sich völlig überfressen. Um
etwas über biologische Systeme in Erfahrung zu bringen, stechen
Wissenschaftler Elektroden in Tiergehirne und blenden, töten und
sezieren Tiere … Tiere … werden mit Elektroschocks, Nahrungs- und
Wasserentzug und anderen Grausamkeiten bestraft. Kurz: Was Tieren
im Namen der Wissenschaft angetan wird, ist oft, vom Standpunkt
des Tieres aus, die reine Folter – und würde auch als solche
betrachtet, wenn es keine Wissenschaftler wären, die dieses
Verbrechen begehen. (Grund zur Hoffnung, S. 276/277)
Bei ihren Besuchen in solchen Forschungslaboren sieht sie
Schimpansen in winzigen Käfigen dahinvegetieren, völlig ohne
Anregungen außer dem Rauschen der Klimaanlagen. Sie zeigen kaum
noch Ähnlichkeiten zum Verhalten der Tiere, die sie aus der
freien Wildbahn kennt.
So gern sie sofort alle Tierversuche verbieten würde, so gut weiß
sie doch, dass die Lobby viel zu stark ist: „Und das
Establishment sträubt sich gegen alle Veränderungsversuche. Das
Establishment spielt das Leiden der Menschen gegen das Leiden der
Versuchstiere aus. Reformen, sagen sie, sind teuer.“ (Ein Herz
für Schimpansen, S. 308)
Wir müssen erkennen, daß Menschen nicht die einzigen Tiere mit
einer Persönlichkeit sind, nicht die einzigen Tiere, die zu
vernünftigem Denken und zu Problemlösungen fähig sind, nicht die
einzigen Tiere, die Freude, Trauer und Verzweiflung empfinden
können, und vor allem nicht die einzigen Tiere, die sowohl
körperlich als auch seelisch leiden können. … Wären Menschen, die
wir nur für medizinische Experimente aufzögen, weniger Mensch?
Würden sie weniger leiden und weniger wert sein als andere
Menschen? (Grund zur Hoffnung, S. 282/283)
Und so arbeitet sie leise und beharrlich – und durchaus
erfolgreich – daran, dass zumindest die Bedingungen in den
Laboren verbessert werden. Tatsächlich gelingt es ihr nach einer
Weile, dass die Tiere in einer Einrichtung mit einem besonders
renitenten Besitzer nicht mehr in Einzelhaft gehalten werden.
Ehrungen und Tod
Im Jahr 2002 wird sie zur UN-Friedensbotschafterin ernannt. Im
Jahr 2025 wird ihr die Presidential Medal of Freedom verliehen.
Es gibt zahlreiche Bücher über sie und von ihr, genauso wie
Filme. Sie stirbt am 1. Oktober 2025 mit 91 Jahren auf einer
Vortragsreise eines natürlichen Todes und wird von Wissenschaft,
Politik und Öffentlichkeit – und uns – betrauert.
Fun Facts
Jane Goodall litt unter Prosopagnosia, konnte sich also keine
Gesichter merken. Erst im fortgeschrittenen Alter erfuhr sie,
dass es anderen Menschen (unter anderem ihrer Schwester) genauso
geht.
Sie trank gern ein Glas Whiskey, um ihre Stimme für das viele
Reden zu ölen.
Im Jahr 1987 zeichnete der Karikaturist Gary Larson einen Comic
von zwei Schimpansen beim Groomen: „Ein blondes Haar?“, sagt der
eine. „Hast du etwa schon wieder ’Recherche’ mit Jane Goodall,
dieser Schlampe, betrieben?“ Jemand vom Jane Goodall Institute
schickte ihm daraufhin einen empörten Brief, aber Jane selbst
fand es wohl eher amüsant. Larson entschuldigte sich und besuchte
sie später in Gombe, wo er prompt von einem wütenden Schimpansen
angegriffen wurde.
Ein Bild von Jane Goodall bei der Schimpansenbeobachtung wurde
1977 mit dem Voyager Golden Record ins All geschickt.
***
1Später fördert Louis Leakey auch Dian Fossey, die das Verhalten
von Berggorillas erforscht, und Birutė Galdikas, die sich auf
Orang-Utans spezialisiert.
***
Wir erwähnen unsere Folgen über Mary Leakey und Rachel Carson.
***
Quellen:
Jane Goodall: Ein Herz für Schimpansen. Meine 30 Jahre am
Gombe-Strom. rororo 1991. Übersetzt von Ilse Strasmann.
Jane Goodall mit Douglas Abrams und Gail Hudson: Das Buch der
Hoffnung. Goldmann 2021. Übersetzt von Andrea O’Brien und Jan
Schönherr.
Jane Goodall mit Phillip Berman: Grund zur Hoffnung.
Autobiographie. Riemann Verlag 1999. Aus dem Englischen von Erika
Ifang.
Dale Peterson: Jane Goodall. The Woman Who Redefined Man. Mariner
Books 2006.
Dokumentarfilm von Hugo van Lawick: Miss Goodall and the Wild
Chimpanzees (1965/1980) – Link zum YouTube-Video
***
Artwork und Musik: Uwe Sittig
Frauenleben-Hosts: Susanne
Popp und Petra Hucke
Podcast-Website: Frauenleben-Podcast
Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/
Der Beitrag Jane Goodall (1934–2025) erschien zuerst auf
Frauenleben.
Mehr
03.10.2025
55 Minuten
Die Britin Florence Nightingale gilt als Begründerin der modernen
Krankenpflege, Pionierin der evidenzbasierten Medizin und war
eine der bemerkenswertesten Frauen ihrer Zeit.
***
Kindheit, Bildung und familiäre Prägung
Florence Nightingale wuchs in einer wohlhabenden Familie des
viktorianischen Englands auf. Als Tochter von William Nightingale
und Frances Smith lebte Florence in komfortablen Landsitzen,
wurde aber durch das Erbrecht von einer ökonomisch eigenständigen
Zukunft ausgeschlossen – Heirat war für Töchter wie sie die
gesellschaftliche Norm.
Florence Nightingale, ca. 1860 (Quelle: Wikipedia)
Bereits in jungen Jahren entwickelte Nightingale einen eigenen
geistigen und ethischen Anspruch. Ihr Vater förderte ihre Bildung
ungewöhnlich intensiv und Florence entwickelte eine Vorliebe für
Mathematik und analytisches Denken. Weibliche Vorbilder fand sie
in Frauen wie Mary Somerville und Ada Lovelace, die ebenfalls mit
wissenschaftlichen Leistungen hervortraten.
Zwischen gesellschaftlichen Konventionen und religiöser
Berufung
Die Epoche des viktorianischen Englands war geprägt von starren
Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Hierarchien.
Nightingale strebte nach mehr als dem Leben der „braven Dame“,
das ihre Mutter für sie vorgesehen hatte. Ihre starke religiöse
Prägung und das intensive Nachdenken über soziale Gerechtigkeit
motivierten sie, sich für bedürftige und kranke Menschen zu
engagieren – der christliche Glaube wurde für sie zur Quelle von
Engagement und ethischem Handeln. Florence Nightingale verstand
sich als Mit-Arbeiterin Gottes. Dabei verband sie sogar Empirie
mit Beten und führte als Kind ein Experiment zur Wirksamkeit des
Betens mit wissenschaftlicher Methodik durch. Ihre Hoffnungen,
die Wirksamkeit des Gebets auf diese Weise belegen zu können,
wurde dabei leider enttäuscht.
Embley Park in Southampton, einer der beiden Landsitze der
Familie Nightingale, ist heute ein Internat (Quelle: Wikipedia)
Link zu einem Video über Lea Hurst, dem Landsitz der Familie in
Derbyshire (Der Link führt auf YouTube)
Der Weg zur Krankenpflege: Krisen, Reisen und
Erfahrungen
Die Geschichte Florence Nightingales ist auch eine der
Selbstfindung. Früh pflegte sie kranke Familienmitglieder und
Angestellte. Ihre Erfahrungen mit schlechter Pflege und der Tod
eines Cousins prägten sie nachhaltig und ließen in ihr den Wunsch
entstehen, eine professionelle Ausbildung zu absolvieren. Die
Bewerber um ihre Hand lehnte sie nach reiflicher Überlegung sehr
zum Unmut ihrer Familie alle ab.
„Ich bin so froh, dass dieses Jahr vorbei ist; dennoch war es
kein verschwendetes […] Ich habe meinen gesamten religiösen
Glauben umgestaltet […] Ich habe meine sozialen Anschauungen neu
gefasst […]Ich habe einen Plan für Paris geschmiedet […]
Schlussendlich sind alle meine Bewunderer verheiratet […] Und
hier stehe ich mit der ganzen Welt vor mir […] Dieses Jahr war
eine Feuertaufe.” (F.N. 1852)
Begleitet und unterstützt durch Freunde, reiste sie durch Europa,
lernte karitative Modelle in Frankreich, Italien und Deutschland
kennen und absolvierte Hospitationen bei den Diakonissen in
Kaiserswerth, die sie besonders inspirierten. Diese Reisen
öffneten ihren Blick für internationale Entwicklungen und für die
Notwendigkeit eigener Reformen im englischen Pflegesystem. Trotz
Widerständen aus der Familie, depressiven Phasen und
gesellschaftlicher Skepsis, verfolgte sie ihre Berufung
konsequent.
Durchbruch und Ruhm im Krimkrieg
Der Krimkrieg (1854–1856) wurde zum Wendepunkt in Nightingales
Leben und ein Meilenstein in der Geschichte des Pflegeberufs. In
den englischen Militärlazaretten herrschten katastrophale
Bedingungen und es mangelte an Hygiene, Verbandsmaterial und
Personal. Zeitungsberichte informieren die britische
Öffentlichkeit über die Zustände.
„Es fehlt nicht nur an Ärzten – was, wie man sagen könnte,
unvermeidlich ist -, sondern auch an Verbands- und Pflegepersonal
-, […] was will man sagen, wenn bekannt wird, dass es nicht
einmal Leinen gibt, um Verbände für die Verwundeten herzustellen.
[…] und dass Männer sterben müssen, weil das medizinische
Personal der britischen Armee vergessen hat, dass man
Verbandstoff braucht, um Wunden zu versorgen.” (The Times,
12.10.1854)
Nightingale wird vom amtierenden Kriegsminister, der ein Freund
von ihr ist, um Hilfe gebeten und ihr wird ein offizielles Amt
übertragen. Schließlich übernahm sie als Oberaufseherin die
Organisation der Pflegekräfte – viele davon waren Frauen aus
unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften und sozialen Kreisen.
The Mission of Mercy: Florence Nightingale receiving the Wounded
at Scutari Jerry Barrett, 1857 (Quelle: Wikipedia)
Mit großem Organisationstalent, Durchsetzungskraft und Diplomatie
setzte sie neue Standards bei der Hygiene, dokumentierte
Verbesserungen akribisch und überzeugte letztendlich die
Militärführung sowie die Öffentlichkeit durch nachweisbare
Erfolge. Ihre nächtlichen Rundgänge mit der Lampe machten sie zur
Ikone – als „Lady with the Lamp“ wurde sie zum Inbegriff
christlicher Weiblichkeit und fürsorglicher Erneuerung.
Das Militärlazarett in Scutari nach den Reformen durch Florence
Nightingale
Erfinderin der Datenvisualisierung: Das
Rosendiagramm
Nach ihrer Rückkehr nach England analysierte Nightingale
systematisch die Daten aus dem Krimkrieg. Mit dem sogenannten
Rosendiagramm (Polar-Area-Diagramm) brachte sie Todesursachen
grafisch auf den Punkt und überzeugte politische
Entscheidungsträger von dringend notwendigen Reformen im
Sanitätswesen. Ihre Diagramme gelten als Meilenstein der
Informationsgrafik – und machten Statistik zu einem Werkzeug
politischer Überzeugungsarbeit.
Rosendiagramm von Florence Nightingale (Quelle: Wikimedia)
Krankheit und privates Leben
Der Einsatz im Krimkrieg hinterließ gesundheitliche Spuren.
Nightingale erkrankte an Brucellose und verbrachte viele Jahre
zurückgezogen, oft im Bett – dennoch blieb sie bis ins hohe Alter
produktiv: Sie verfasste rund 19.000 Briefe, zahlreiche Bücher
und Artikel. Ihr Rückzug ins Private hinderte sie nicht daran,
als Beraterin und Impulsgeberin für Reformen im Gesundheitswesen
zu wirken.
Reformerin der Pflege – weltweites Vermächtnis
Florence Nightingale gründete 1860 die Nightingale School of
Nursing, die weltweit neue Standards setzte und zur
Professionalisierung des Pflegeberufs beitrug. Ihr Leitbild:
„Ärzte beschäftigen sich mit Krankheiten, Krankenschwestern
beschäftigen sich mit Menschen“
– steht für eine ganzheitliche Pflegephilosophie, die bis heute
nachwirkt. Ihre Absolventinnen verbreiteten das System
international, insbesondere im angloamerikanischen Raum, wo
Pflege als verantwortungsvolle Profession etabliert wurde.
1886: Florence Nightingale (middle) in a group of Nightingale
Nurses from St Thomas’
Im übrigen Europa blieb die Pflege noch lange kirchlich und
karitativ geprägt, mit geringerer formaler Ausbildung. Erst in
den letzten Jahrzehnten ist eine vergleichbare Akademisierung
auch in Deutschland oder der Schweiz zu beobachten.
Kritik, Kontroversen und das Bild der Ikone
Nightingales Ruhm blieb nicht unangefochten. Während sie im 19.
Jahrhundert als fast heilige Retterin gefeiert wurde, wurde sie
später von Historikern kritisch hinterfragt: Als „machtversessene
Intrigantin“, „frauenfeindliche Zynikerin“, gar „Racheengel“ –
die Bilder variierten drastisch. Trotz dieser Kontroversen bleibt
ihr Vermächtnis als pragmatische und methodisch brillante
Reformerin des Gesundheitswesens unbestritten.
Florence Nightingale – Wegbereiterin moderner Pflege
und Statistik
Florence Nightingale starb 1910 in London im Alter von 90 Jahren.
Sie hinterließ ein Werk, das den Wandel von Pflege, Statistik und
Gesellschaft entscheidend geprägt hat. Ihr Einfluss reicht weit
über Großbritannien hinaus und inspiriert bis heute Fachleute
weltweit.
Statue von Florence Nightingale in Derby (Quelle: Wikipedia)
In dieser Podcast-Folge erwähnen wir weitere bedeutende Frauen
aus dem viktorianischen England, nämlich die Ärztin Elizabeth
Blackwell, die Mathematikerin und Astronomin Mary Somerville und
die Mathematikerin und erste Frau, die ein Computerprogramm
schrieb Lady Ada Lovelace. Zu allen drei Frauen findet ihr
Podcast-Episoden auf frauenleben-podcast.de
***
Quelle für diese Episode:
Hedwig Herold-Schmidt: Florence Nightingale – Die Frau hinter der
Legende, wbg THEISS 2020
Zum Rosendiagramm: https://www.sciencemuseum.org.uk/
***
Artwork und Musik: Uwe Sittig
Frauenleben-Hosts: Susanne
Popp und Petra Hucke
Podcast-Website: Frauenleben-Podcast
Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/
Der Beitrag Florence Nightingale (1820–1910) erschien zuerst auf
Frauenleben.
Mehr
22.09.2025
51 Minuten
Der Frauenleben-Podcast macht Sommerpause und holt für euch die
schönsten Folgen aus dem Archiv. Heute: Amalie Dietrich war
eine der bedeutendsten Naturforscherinnen und Forschungsreisenden
Deutschlands und ihr abenteuerlicher Lebensweg führte sie bis ins
australische Outback. Sie stammte aus einer armen sächsischen
Familie und machte sich trotz mangelnder Schulbildung als
Botanikerin einen so guten Namen, dass sie sich auf Augenhöhe mit
Universitätsprofessoren unterhalten konnte.
***
Link zur Originalfolge vom 18. März 2021
https://frauenleben-podcast.de/podcast/amalie-dietrich-naturforscherin/
Wir beziehen uns in dieser Folge auf die Episode über Maria
Sibylla Merian
https://frauenleben-podcast.de/podcast/maria-sibylla-merian/
Die Episode über die Naturforscherin Amalie Dietrich erschien
zuerst im März 2021 auf Frauenleben
***
Artwork und Musik: Uwe Sittig
Frauenleben-Hosts: Susanne
Popp und Petra Hucke
Podcast-Website: Frauenleben-Podcast
Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/
Der Beitrag [Wiederhören] Amalie Dietrich (1821–1891) erschien
zuerst auf Frauenleben.
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05.09.2025
34 Minuten
Der Frauenleben-Podcast macht Sommerpause und holt für euch die
schönsten Folgen aus dem Archiv. Heute: Die erste
Universitätsprofessorin Europas inspirierte ihre Zeitgenossinnen
und Zeitgenossen. Sie galt als Wunderkind, lehrte später
Philosophie und Physik an der Universität von Bologna und ließ
trotz Heirat und acht Kindern die Wissenschaft nicht ruhen.
Link zur Originalfolge mit Blog-Beitrag von November 2020.
Laura Bassi (1711–1778)
Wir beziehen uns im Podcast auf die Episode über Dorothea
Erxleben
Dorothea Christiane Erxleben (1715–1762)
***
Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra
Hucke
Frauenleben-Podcast
Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/
Der Beitrag [Wiederhören] Laura Bassi (1711–1778) erschien zuerst
auf Frauenleben.
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Über diesen Podcast
Porträts von Frauen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und
Technik. Von Susanne Popp und Petra Hucke.
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