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Episode 3: Seuchenjahr
50 Minuten
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Henning Trüper (ZfL) spricht mit Christoph Paret (Uni Wien) über
Henning Trüper: »Seuchenjahr« (Berlin: August Verlag 2021). In
einem 96-teiligen Langessay unternimmt der Historiker Henning
Trüper den Versuch, Ordnung ins pandemische Geschehen zu bringen.
Mit dem Philosophen Christoph Paret spricht er über die
Verwandtschaft von Phobie und Theorie, die Bedingungen und
Möglichkeiten politischen und moralischen Handelns in Zeiten von
Lockdown, Unsicherheit und Unsouveränität sowie die
Geschichtsschreibung als Form der Totenfürsorge. ———————— Einer von
Lukian überlieferten Erzählung zufolge kam es in der Stadt Abdera
in Thrakien einst zum Ausbruch einer Seuche, die alle Abderit*innen
nur noch in Versen sprechen und sich als Figuren einer Tragödie
verstehen ließ. In der Überlieferung über Wieland zu Kant gewinnt
die Satire ernsthaftes Gewicht. Als Einsicht in die Sinnlosigkeit
der Verhältnisse und die menschliche Ohnmacht, den Gang der
Geschichte zu beeinflussen, wird der »Abderitismus« zu einer von
drei möglichen Positionen ihr gegenüber. Während Kant diesem
Fatalismus noch optimistisch die Hoffnung auf eine Verbesserung der
Verhältnisse entgegensetzt, stellt sich für Adorno realistisch
betrachtet nur noch die Wahl zwischen moralischem Terrorismus und
der mäßig beruhigenden Einsicht, in einer sinnlosen Welt zu leben.
Henning Trüper interessiert sich für die Frage, ob sich ausgehend
von einzelnen Symptomen – Geschichtszeichen im kantischen Sinn –,
dennoch Aussagen über das große Ganze treffen lassen und inwiefern
sich hier eine Möglichkeit zur Rehabilitation der
Geschichtsphilosophie auf dem Feld der Moral eröffnet. Das
pandemische Geschehen scheint dabei mehr und mehr Adornos »Minima
Moralia« zu bestätigen, worüber sich letztlich eine Brücke von den
humanitären Dilemmata, vor die uns COVID stellt, zur paradoxen
Situation des Humanitarismus überhaupt schlagen lässt, dessen
Rettungsaktionen stets die Schaffung stabiler und eindeutiger
Entscheidungssituationen gegenüber einem sinnlos erscheinenden
Geschehen verlangen. ———————— Henning Trüper ist Historiker und
leitet das ERC-Projekt »Archipelagische Imperative. Schiffbruch und
Lebensrettung in europäischen Gesellschaften seit 1800« am ZfL. Der
Philosoph Christoph Paret ist Universitätsassistent an der
Universität Wien. 2019 war er mit dem Projekt »Hans Blumenbergs
Variationen auf das Ende der Theorie« wissenschaftlicher
Mitarbeiter am ZfL. www.zfl-berlin.org
Henning Trüper: »Seuchenjahr« (Berlin: August Verlag 2021). In
einem 96-teiligen Langessay unternimmt der Historiker Henning
Trüper den Versuch, Ordnung ins pandemische Geschehen zu bringen.
Mit dem Philosophen Christoph Paret spricht er über die
Verwandtschaft von Phobie und Theorie, die Bedingungen und
Möglichkeiten politischen und moralischen Handelns in Zeiten von
Lockdown, Unsicherheit und Unsouveränität sowie die
Geschichtsschreibung als Form der Totenfürsorge. ———————— Einer von
Lukian überlieferten Erzählung zufolge kam es in der Stadt Abdera
in Thrakien einst zum Ausbruch einer Seuche, die alle Abderit*innen
nur noch in Versen sprechen und sich als Figuren einer Tragödie
verstehen ließ. In der Überlieferung über Wieland zu Kant gewinnt
die Satire ernsthaftes Gewicht. Als Einsicht in die Sinnlosigkeit
der Verhältnisse und die menschliche Ohnmacht, den Gang der
Geschichte zu beeinflussen, wird der »Abderitismus« zu einer von
drei möglichen Positionen ihr gegenüber. Während Kant diesem
Fatalismus noch optimistisch die Hoffnung auf eine Verbesserung der
Verhältnisse entgegensetzt, stellt sich für Adorno realistisch
betrachtet nur noch die Wahl zwischen moralischem Terrorismus und
der mäßig beruhigenden Einsicht, in einer sinnlosen Welt zu leben.
Henning Trüper interessiert sich für die Frage, ob sich ausgehend
von einzelnen Symptomen – Geschichtszeichen im kantischen Sinn –,
dennoch Aussagen über das große Ganze treffen lassen und inwiefern
sich hier eine Möglichkeit zur Rehabilitation der
Geschichtsphilosophie auf dem Feld der Moral eröffnet. Das
pandemische Geschehen scheint dabei mehr und mehr Adornos »Minima
Moralia« zu bestätigen, worüber sich letztlich eine Brücke von den
humanitären Dilemmata, vor die uns COVID stellt, zur paradoxen
Situation des Humanitarismus überhaupt schlagen lässt, dessen
Rettungsaktionen stets die Schaffung stabiler und eindeutiger
Entscheidungssituationen gegenüber einem sinnlos erscheinenden
Geschehen verlangen. ———————— Henning Trüper ist Historiker und
leitet das ERC-Projekt »Archipelagische Imperative. Schiffbruch und
Lebensrettung in europäischen Gesellschaften seit 1800« am ZfL. Der
Philosoph Christoph Paret ist Universitätsassistent an der
Universität Wien. 2019 war er mit dem Projekt »Hans Blumenbergs
Variationen auf das Ende der Theorie« wissenschaftlicher
Mitarbeiter am ZfL. www.zfl-berlin.org
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