Qwirkle Gruppe

Qwirkle Gruppe

Modellansatz 076
1 Stunde 36 Minuten
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Beschreibung

vor 8 Jahren

In vielen Spielen steckt Mathematik, seien es Minecraft,
Wasserraketen oder Tiptoi. Lisa Mirlina und Felix Dehnen haben
sich Qwirkle (ein Spiel der Schmidt Spiele von Susan McKinley
Ross) einmal ganz genau angesehen.


Die beiden konnten als Teilnehmer des Hector-Seminar an einem
Kooperationsprojekt mit der Fakultät für Mathematik am Karlsruher
Institut für Technologie (KIT) teilnehmen. Hier betreute sie
Prof. Dr. Frank Herrlich in dem Projekt auf der Suche nach der
perfekten Qwirkle-Lösung- wofür die beiden ihm ganz herzlich
danken.


Das Legespiel war 2011 Spiel des Jahres und besteht aus 108
Spielsteinen aus sechs verschiedenen Farben und sechs
verschiedenen Formen- jede Kombination kommt dabei dreimal vor.
Jeder Spielteilnehmer versucht aus seinen eigenen sechs
nachzuziehenden Spielsteinen gleiche Formen oder gleiche Farben
auf dem Tisch in Reihen zusammenzulegen. Wie bei Scrabble gibt es
für jedes Anlegen Punkte- es müssen aber alle entstehende Reihen
korrekt sein- von Farbe oder Form, wie bei Mau-Mau oder Domino.
Das Spielziel ist eine möglichst hohe Anzahl von Punkten zu
erreichen.


Den mathematischen Hintergrund zum Spiel fanden die beiden in der
Topologie: Auf einem Tisch kann man höchstens 36 Steine perfekt
anordnen- auf einer anderen topologischen Struktur eventuell
mehr.


Mit Hilfe von Verklebungen kann man zu Flächen wie beispielsweise
auf einem Torus gelangen- wenn man die jeweils die
gegenüberliegenden Seiten miteinander verklebt:


Auf einem Torus haben wirklich alle Steine vier Nachbarn- und
nicht nur die Steine im Inneren. Die Frage ist nun, ob es möglich
ist, eine Fläche zu finden, wo jeder der 108 Steine in genau zwei
perfekten Qwirkle-Reihen- also jeder Form oder Farbe- liegen
kann.


Neben einem Torus kann man durch Verkleben aus einem Quadrat oder
Rechteck auch die Sphäre, das Möbiusband, die Projektive Ebene
oder die Kleinsche Flasche erzeugen. Dabei sind das Möbiusband,
die projektive Ebene und die Kleinsche Flasche nicht mehr
orientierbar, da man keinen Normalenvektor angeben kann. Die
projektive Fläche hat in ihrer Darstellung durch homogene
Koordinaten eine wichtige Anwendung in der Computergrafik, da
Verschiebungen auch als lineare Abbildungen umgesetzt werden
können und die gesamte Berechnung deutlich erleichtert.


Auch frühere Folgen zu Teichmüllerkurven (Modell042) und wilden
Singularitäten (Modell060) haben im Modellansatz Podcast
Topologie und Verklebungen behandelt.


Die Topologie ist dabei überhaupt nicht so theoretisch, wie sie
zunächst erscheint- denn da wir nicht auf einer Ebene oder
flachen Erde leben, können wir einmal um die Erde herumgehen, und
nach langem Weg wieder an dem gleichen Ort wieder ankommen. Wir
können auch andere Winkelsummen von Dreiecken bestimmen. Diese
Experimente können wir beim Universum leider nicht leicht
durchführen, und so ist die Forschung nach der Topologie des
Universums sehr aktuell.


In der Topologie können Flächen bzw. zwei topologische Räume als
äquivalent angesehen werden, wenn sie durch eine Homöomorphie,
also durch eine stetige und stetig umkehrbare Abbildung in
einander überführt werden können. So ist eine Tasse (mit einem
Henkel) zu einem Torus homöomorph- nicht jedoch zu einem Becher
ohne Henkel.


Dies führt auf das interessante Gebiet der topologischen
Klassifikation der Flächen, denn man kann durch eine genügend
feine Unterteilung der Fläche in beispielsweise Dreiecke, einer
Triangulierung, zusammen mit einigen Regeln die Art der Fläche
bestimmen.


Dies führt auf den verallgemeinerten Satz von Euler für
orientierbare Flächen, wo die Zahl der Ecken, die Zahl der
Flächen, die Zahl der Kanten und das Geschlecht bezeichnet:


Das Drei Häuser-Problem ist ein Knobelrätsel zu diesem Satz, da
das Problem auf einer Ebene oder eine Sphäre nicht lösbar ist,
jedoch auf dem Torus eine Lösung besitzt.


Für das Qwirkle-Spiel liefert der Dreifach-Torus (oder eine
Brezel) eine Lösung für 8 Steine, wo jeweils zwei Steine doppelt
sind und daher auf einem Tisch nicht so anzuordnen wären:


Für 18 Steine haben sie eine unsymmetrische Lösung gefunden, die
sich nicht so leicht auf mehr Steine erweitern ließ:


Mit der Treppenstruktur wie bei 8 Steinen mit einer 9er Struktur
kann man aber eine Lösung aus 108 Steinen konstruieren:


Nach dem Satz von Euler ist diese Lösung auf einer Fläche, die
einem Fünf-Torus entspricht- oder einer Brezel mit zwei Löchern
zu viel.


Dies ist aber nicht die einzige Lösung für 108 Steine- mit
Gruppentheorie kann man nach weiteren Lösungen suchen: Denn so,
wie die Steine sich nach Verklebung in einer Richtung
wiederholen, so können auch Gruppen genau diese Wiederholungen
darstellen.


Ein sehr einfaches Beispiel ist die zyklische Gruppe aus drei
Elementen 0, 1, 2, die man mit der Addition verknüpft, und bei
Ergebnissen über 2 wieder drei abzieht, wie man in dieser
Verknüpfungstafel ablesen kann:
+012001211202201

Auf drei Elementen kann man aber auch die Symmetrische oder
Permutations-Gruppe definieren: In dieser sind alle möglichen
sechs Vertauschungen bzw. Permutationen von den drei Elementen
enthalten. Ein anderer Ansatz ist es, die drei Elemente als Ecken
eines gleichseitigen Dreiecks zu sehen und alle Rotationen oder
Spiegelungen zur Dieder- oder Symmetriegruppe definieren. Im
speziellen Fall von drei Elementen stimmen die beiden Gruppen mit
je sechs Abbildungen überein, d.h. :


Durch das direkte Produkt von drei Symmetriegruppen erhält man
eine Gruppe mit 216 Elementen, unter Festhalten des Signums (bzw.
Vorzeichen), kann man durch Faktorisierung eine Untergruppe mit
108 Elementen bestimmen- die Qwirkle-Gruppe.


Aus dieser Gruppe kann man nun wieder eine Fläche erzeugen, die
das perfekte Qwirkle-Spiel mit 108 Steinen mit vollkommen
symmetrischen Aufbau ermöglicht:


Die Fläche dieser Lösung hat das Geschlecht 37, ist also
äquivalent zu einer Tasse mit 37 Henkeln.


Mit diesem Projekt starteten Lisa Mirlina und Felix Dehnen bei
Jugend forscht- zunächst beim Regionalentscheid, dann beim
Landesentscheid und schließlich dem Bundeswettbewerb. Sie
gewannen den Preis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung (DMV)
für besonders kreativen Einsatz der Mathematik. Und dann ging es
als Delegation nach Japan.
Literatur und Zusatzinformationen

L. Mirlina, F. Dehnen: Qwirkle, Abschlussbericht im
Hector-Seminar, 2014.

J. Stillwell: Classical topology and combinatorial group
theory, Vol. 72. Springer Science & Business Media, 2012.

W. Lück: Topologie, Gespräch mit G. Thäter im Modellansatz
Podcast, Folge 40, Fakultät für Mathematik, Karlsruher Institut
für Technologie (KIT), 2014.


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