ÖPNV

ÖPNV

Modellansatz 091
47 Minuten
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Beschreibung

vor 7 Jahren

Klaus Nökel arbeitet in der Firma ptvgroup an der
Verkehrsmodellierung. Er war und ist an vielen Aspekten der
Entwicklung der ptv-Software beteiligt. Einer seiner Schwerpunkte
sind Modelle für den öffentlichen Nahverkehr - kurz ÖPNV. Oft
kann man nur mit geeigneten Modellen und Simulationen den für
Fördergelder erforderlichen Nachweis über einen zu erwartenden
Nutzen von Baumaßnahmen erbringen. In Karlsruhe ist der Tunnel
für die Straßenbahnen (in Karlsruhe kurz UStrab genannt) ein
prominentes Beispiel einer solchen Großbaustelle.


Die wichtigste Fragen zum erwarteten Nutzen, ist wie sich die
Reisezeit verkürzt: Der Kosten-Nutzen-Quotient sollte hier
natürlich möglichst klein sein. Die gesamten Baukosten sind dabei
relativ einfach zu ermitteln. Die Nutzen-Seite ist dagegen nicht
so einfach zu schätzen. Man braucht dafür ja Zahlen darüber, was
für die Fahrgäste (quantifizierbar) besser wird- insbesondere im
Bezug auf Zeiteinsparung.


Um diese Frage beantworten zu können, muss für alle Einwohner
eine Routenplanung für jeden Tag durchgeführt werden. In Bezug
auf ÖPNV sind dies insbesondere die Mobliltätsentscheidungen
zwischen Weg zu Fuß, mit dem Auto oder Fahrrad und dem ÖPNV. Das
betrifft vor allem die Wege zur Arbeit, zu Freizeitaktivitäten
und zum Einkaufen. Die Wohn- und Arbeitsorte liegen hier über
längere Zeit fest - alle anderen Größen sind jedoch variabel und
Entscheidungen wo man beispielsweise einkaufen geht, können sich
mit besserer Erreichbarkeit verändern. Hier muss aufgrund
vorliegender Informationen zu Wegen in der Stadt die Wahl des
Verkehrsmittels modelliert werden und welche Route mit welchem
Verkehrsmittel typischerweise gewählt wird. Die Frage ist dann,
ob es zu Verschiebungen in der Verkehrsmittelwahl kommen wird,
nachdem sich die Infrastruktur geändert hat (wie z.B. durch den
Tunnel bei uns in Karlsruhe). Die Angebotsseite ist
vergleichsweise einfach zu beschreiben: Verkehrsnetz(e) wie
Straßen und Liniennetz des ÖPNV mit zugehörigem Fahrplan sind
bekannte Daten.


Die Kenntnisse über die Nachfrage sind komplex und setzen sich
aus verschiedenen Anteilen zusammen. Ein gut verstandener Teil
hier ist der soziodemographische z.B. ob ein Auto zur Verfügung
oder nicht. Typischerweise haben junge Leute auf dem Weg zur
Schule oder in die Ausbildung kein Auto zur Verfügung. Ebenso
kann man gut beschreiben, wo gewohnt, gearbeitet und
typischerweise eingekauft wird. Die Frage, welche Wege
zurückgelegt werden, wird nicht wirklich gezählt oder genau
ermittelt, sondern modelliert. Dabei sind viele Fragen nicht
eindeutig beantwortbar. Manches sind auch ganz persönliche
Vorlieben, so wie verschiedene Personen höhere Wegekosten
gegenüber höherer Wegezeit sehr unterschiedlich gewichten.


Eine typische Datenbeschaffungsmethode ist bisher, Menschen über
einen gewissen Zeitraum Tagebuch zu ihren
Mobilitätsentscheidungen führen zu lassen. Zusätzlich zu den so
dokumentierten und hochgerechneten Entscheidungen müssen für das
Modell als Vergleich auch noch mögliche Alternativen zu diesen
Entscheidungen mit berechnet werden (inklusive Zeit- und
Geldaufwand).


Als mathematische Methode bietet sich ein Discrete Choice Modell
an, denn es geht um endlich viele Alternativen zwischen denen
gewählt wird. Es gibt darin einige objektive Anteile der
persönlichen Nutzenfunktion und einen unbeobachtbaren Teil der
Nutzenfunktion, der üblicherweise durch eine
Wahrscheinlichkeitsverteilung im Modell realisiert werden kann
und muss.


Statistik insbesondere die Schätztheorie hilft bei der Bestimmung
der Wahrscheinlichkeitsverteilungen aus vorliegenden
Entscheidungen. Das Gewicht für das "Rauschen" ist eine
Unbekannte im Modell. Je nach Standort für den das Modell
entwickelt wird, unterscheidet sich das tatsächlich.


In den letzten Jahren hat sich die Anzahl der Wahlmöglichkeiten
für Mobilität durch verschiedene Sharing-Modelle außerdem stark
erweitert, wie z.B. durch Carsharing oder Fahrrad-Leihe, die
inzwischen auch niederschwellig und sehr flexibel geworden sind.
Vor allem in Kombination mit herkömmlichen Transportmitteln liegt
ein großes Potential, das gerade erschlossen wird (z.B. haben zur
Zeit etwa 600 Städte in der Welt ein Leihfahrrad-System). Es wäre
einfacher, wenn die Benutzung noch klarer standardisiert wäre und
eine Benutzerführung so einfach wie in einer typischen App
erfolgte.


Sinnvoll und wünschenswert wären natürlich ausführliche
Vorher-nachher-Untersuchungen, um die Güte der Vorhersagen der
Modelle zu prüfen und auch zu verbessern. Bisher war das meist zu
teuer, aber das ändert sich gerade, weil Datenmengen aus
Smartphones nutzbar und einfach auswertbar werden. Zum Glück gibt
es hier keine Berührung der Privatsphäre, weil nur anonyme
Angaben aus großen Mengen von Bewegungsprofilen gebraucht werden
aus denen keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich sind.


Die Städte versuchen für ihre Einwohner die
Erreichbarkeits-Gerechtigkeit zu verbessern. Hier vereinfachen
die neuen Verkehrsmittel potentiell das Problem der letzten Meile
lösen zu helfen.


Das Verhalten der Verkehrsteilnehmer ändert sich auch gerade in
prinzipieller Weise durch die Verfügbarkeit von
online-Informationen zum Verkehr (einerseits per Smartphone,
andererseits durch Anzeigen an den Haltestellen). Hat man sich
früher eine Variante zu Hause überlegt und so gut es ging
anschließend abgearbeitet (unterwegs hatte man dabei nur
beschränkt Möglichkeiten mit Verspätungen und verpassten
Verbindungen fertig zu werden), so reagieren heute Fahrgäste
anders, weil sie unterwegs mehr Informationen haben. Hier braucht
man tatsächlich auch neue Modelle und mehr Rechenpower.


Eine weitere Entwicklung ist es, im Modell zu berücksichtigen,
dass Fahrgäste Entscheidungen auch nach erwartetem Komfort
treffen. So sind volle Bahnen für viele abschreckend. Das könnte
man im Modell noch relativ einfach berücksichtigen. Wenn man aber
einbauen will, dass es eine gute Strategie ist, erst in der
"falschen" Richtung zu fahren, um an einer früheren Station in
die Linie einzusteigen, damit man tatsächlich auch mitkommt und
nicht wegen einer überfüllten Bahn an der Haltestelle
zurückbleiben muss, vergrößert das die Menge der sinnvollen
Routen erheblich.
Literatur und Zusatzinformationen

H. Knoflacher: Grundlagen der Verkehrs- und Siedlungsplanung:
Verkehrsplanung, Böhlau, Wien, 2007

M. Fellendorf e.a.: Trends in der ÖPNV-Planung: 9.
Sommerakademie, Tagungsband, Graz, 5.September 2011

G. Gentile & K. Noekel (Eds): Modelling Public Transport
Passenger Flows in the Era of Intelligent Transport Systems, COST
Action TU1004 (TransITS), Springer, 2016

Dokumente zu TransITS Cost Action

Podcasts und Videos

PTV Youtube-Kanal

U. Leyn: Verkehrswesen, Gespräch mit G. Thäter im
Modellansatz Podcast, Folge 88, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2016.
http://modellansatz.de/verkehrswesen

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